Vielleicht lässt sich die Problematik der INKLUSION an einem Beispiel aus dem Straßenverkehr verdeutlichen.
Es ist die Aufgabe des Staates, seine Bürger vor Gefahren zu schützen. Daher lässt er es sich sehr viel Geld kosten, für die schwächsten Verkehrsteilnehmer parallel zu den Bundes-und Landesstraßen Radwege zu bauen. Hier können sich die Radfahrer gefahrlos mehr Platz genehmigen, schnell oder langsam fahren, überholen oder absteigen. Wie riskant wäre es, wenn sie nun verlangten, sich mit ihrem Rad ebenfalls auf der KFZ-Fahrbahn bewegen zu dürfen, weil sie sich auf dem Radweg als Bummler diskriminiert fühlen, an den Rand gedrängt, abgesondert und als Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse abgestempelt? Und würden sie mit der Begründung, dass alle Verkehrsteilnehmer „gleichberechtigt“ sind, fordern, dass die Geschwindigkeit für den KFZ-Verkehr auf 30 kmh begrenzt wird ?
Übertragen auf die schulische Inklusion von Kindern mit Einschränkungen zeigt sich, dass G l e i c h b e r e c h t i g u n g oft missverstanden wird. Zu ihrem Recht und zu ihrem Schutz und Fortkommen wurden für die Menschen mit Behinderungen in den zurückliegenden Jahrzehnten mit hohen Kosten hervorragende behindertengerechte Einrichtungen geschaffen, das Betreuungspersonal adäquat geschult, pädagogisches Material bereitgehalten, die Gruppengrößen minimiert, höchst differenzierte Angebote ermöglicht und das Lerntempo der Behinderung jedes einzelnen Menschen angepasst.
Diskriminierung?
Ist es nicht vielmehr diskriminierend, die Einschränkungen der behinderten Kinder zu ignorieren, sie auf die „Fahrbahn“, sprich auf die Regelschule zu schicken, sie dem Lerntempo der Mehrheit in der Klasse auszusetzen, sie tagtäglich zu überfordern, sie spüren zu lassen: du bist anders, du bist eingeschränkt, du kommst nicht mit! Auf diese Weise verlieren die Schwächsten ihre GleichbeRECHTigung. Ebenso wäre es auch diskriminierend, der Mehrzahl der Kinder einer Klasse ein angepasstes Lerntempo abzuverlangen.
Das Zauberwort der Inklusionspädagogik heißt „Differenzierung“. Die Lehrer sollen künftig nicht mehr lehren, sondern „Lernbegleiter“ für jedes einzelne Kind sein. Diese Begleitung funktionierte jedoch seither bereits hervorragend in kleinen Lerngruppen einer Spezialeinrichtung, ohne dass sich die Lernenden ( früher Schüler/innen ) enormem Stress ausgesetzt fühlen mussten.
Inklusion kann zwar Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft fördern, aber genauso auch Missachtung, Überforderung und Minderwertigkeitsgefühle bedeuten. Dass behinderte Menschen unsere Aufmerksamkeit, unsere Unterstützung und unsere Empathie brauchen, bleibt unbestritten. Nur ob wir diese mit schulischer INKLUSION erreichen, bleibt mehr als fraglich.
Bärbel Fischer
Lesen Sie dazu den Beitrag von Professor Otto Speck in der Süddeutschen Zeitung!
http://www.sueddeutsche.de/bildung/inklusions-debatte-inklusive-missverstaendnisse-1.2182484