Gegenwärtig diskutiert man, ob und welchen Lebenswert ein todkranker Mensch noch besitzt. Ein Großteil unserer Gesellschaft sympathisiert bereits mit dem Gedanken an ein vorzeitiges Lebensende, falls die körperlichen und geistigen Kräfte schwinden. Ist es nicht vernünftiger, seinem Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen, als unter Schmerzen noch wochenlang der Familie und der Krankenkasse auf der Tasche zu liegen? Wir wollen doch unserer Familie und der Gesellschaft nicht zur Last fallen!
Was ist geschehen, dass wir etwa seit der Jahrtausendwende die persönliche Selbstbestimmung zum einzigen Kriterium über Leben und Tod erheben? Was ist geschehen, dass wir persönliche Souveränität im Vollbesitz unserer Vernunft mit WÜRDE verwechseln?
- Wo beginnt und wo endet persönliche Autonomie?
- Gibt es die absolute, von Mitmenschen völlig unabhängige Souveränität überhaupt, oder ist diese Vorstellung reine Illusion?
- Waren wir nicht bereits ein Leben lang auf die Begleitung und Unterstützung unserer Mitmenschen angewiesen? Warum sollte das auf der letzten Wegstrecke nicht mehr gelten?
- Besitzt ein Baby, das vollkommen auf Hilfe und Versorgung seiner Eltern angewiesen ist, keine Würde, keinen Wert?
- Welche Würde besitzt ein behinderter Mensch, der total auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen ist?
- Verliert ein alter Mensch nach seiner Lebensleistung Würde und Wert, wenn seine körperlichen und geistigen Kräfte nachlassen?
Wie kommt es, dass Euthanasie plötzlich diskutabel geworden ist, dass wir neuerdings wieder zwischen „wertem und unwertem Leben“ unterscheiden? Hat etwa die demographische Entwicklung damit zu tun, weil wir fürchten, auf der letzten Wegstrecke allein gelassen zu werden? Oder geht es eher darum, Kosten zu vermeiden, wenn demnächst die Pflegebedürftigkeit der alten Menschen massiv ansteigt und nicht mehr zu leisten ist? Sorgen wir mit dieser Diskussion nicht klammheimlich dafür, dass sich die „Ineffektiven“ allmählich selbst aus dem Weg räumen?
Diese Diskussion wird unsere Gesellschaft verändern.
Im Rückblick: Die Aufweichung des Abtreibungsverbots hatte zur Folge, dass in Deutschland jährlich etwa 100 000 Nachkommen und deren künftige Sippen verschwanden. Heute beklagen wir den „demographischen Wandel“, der in Wahrheit eine demographische Katastrophe ist, und der uns den Titel WELTMEISTER DES KINDERSCHWUNDS verleiht. Der Wert eines gezeugten Menschen scheint hierzulande gegen Null zu tendieren. Mehrere Eingaben von Parlamentariern im Europaparlament fordern sogar, „Abtreibung als Menschenrecht“ zu deklarieren. Die freiverkäufliche „Pille danach“ tut das Übrige.
So wenig, wie wir seit Jahren die menschlichen Föten vor Gewalt schützen, so willig werden wir die Gewalt von Greisen gegen sich selbst tolerieren, wenn wir die mediale Diskussion nur lange genug und beharrlich fortsetzen. Am Ende wird der Tötungsparagraph ebenso aufgeweicht sein wie der Abtreibungsparagraph.
Damit aber hat sich Artikel 1 GG erledigt. Denn wenn wir nicht mehr willens sind, die Schwächsten in unserer Gesellschaft, ob am Anfang oder am Ende des Lebens, zu schützen und zu stützen, dann haben wir den Anspruch verspielt, ein Rechtsstaat zu sein.
Wir verabscheuen nationalistisches Gedankengut wenn es um Flüchtlinge geht. Erznationalistische Euthanasie aber halten wir paradoxerweise für akzeptabel.
Bärbel Fischer, ELTERNINITIATIVE FÜR FAMILIENGERECHTIGKEIT