25, 35 oder 45 Wochenstunden für die Kleinsten?

Die Neue Westfälische berichtet von Irritationen in der Bielefelder Kita-Landschaft. Sind die Betreuungszeiten flexibel genug? Steht eine Beitragserhöhung für Eltern an, etc.?

Frau Dr. Dorothea Böhm kommentiert den Zeitungsbericht:

Anmerkungen zu: „Kita-Landschaft in Sorge„, Lokalteil, Neue Westfälische, Mo 26.1.2015, Sehr geehrte Frau Eberlein, sehr geehrter Herr Reeske, sehr geehrter Herr Schlifter,
sehr geehrter Herr Seim,

der o.g. Artikel ruft dazu auf, sich der „KiTa-Landschaft in Sorge“ anzunehmen, weil die so viele Betreuungsplätze schaffen müssen und mit weniger Geld auskommen sollen.

Teilweise sind Sie selbst Eltern, kommt Ihnen nicht unnatürlich vor, dass immer mehr Mütter ihre Kleinstkinder für viele Stunden am Tag „loswerden wollen„?  Es ist unfreiwillig und geschieht aus Finanznot!  Die entsteht für Mütter und Väter zwangsläufig, weil die Erwerbseinkommen sinken, die indirekten Steuern steigen und innerfamiliäre Care-Arbeitsleistungen im Bewertungssystem unberücksichtigt bleiben, das bedeutet, sie müssen der Gesellschaft geschenkt werden.

Und dann wäre da noch das verbrecherisch konstruierte Sozialversorgungssystem, welches die Kosten für Alte auf alle verteilt (Rente, Pensionen) und den Großteil der Kinderbedarfskosten Privatsache von Eltern sein lässt – die dann auch noch auf alles, was sie dafür einkaufen müssen, erhebliche Steuersätze entrichten. Deshalb sind Mütter immer jüngerer Kinder gezwungen, ihre Kleinstkinder out zu sourcen, damit sie selbst für Fremde außer Haus arbeiten können. Man nennt das „Wahlfreiheit„.

Apropos „Wahlfreiheit„, welches einjährige Kind „wählt frei“, 8 Stunden täglich ohne seine engste Bezugsperson zu sein? Eben!  Unfreiwillige Trennung von ihren engsten Bezugspersonen ist Mega-Stress für Kleinkinder. Dass wir sie dennoch dazu zwingen, hat Folgen: 75-90% der U3-Kinder in Gruppentagesbetreuung  erleiden eine erhebliche chronische Stressbelastung, die inzwischen messbar ist und ein signifikantes Entwicklungs- und lebenslang wirksames Gesundheitsrisiko darstellt, was auch das netteste Personal in besten Einrichtungen nicht ausgleichen kann, weil die nicht die Mama sind.

Der Ausbau der Gruppentagesbetreuung im U3-Bereich ist nichts weniger als staatlich subventionierte Kindeswohlgefährdung, genau das sollte die „KiTa-Landschaft in Sorge“ versetzen, und ich bitte Sie zu überdenken, welchen Part Sie persönlich hierbei weiterhin zu übernehmen bereit sind.

  • Damit die Ausbeutung der Mütter niemand bemerkt, (sogar sie selber oft nicht), wird der Begriff „Arbeit“ im Zusammenhang mit dem Bereich Familie peinlichst vermieden. („Babypause“, „Erziehungsurlaub“, „daheim-bleiben“, „sich um alte Mutter kümmern“, etc.)
  • Damit den Verlust an Bindungsbeziehungszeit niemand bemerkt,  wird die Zerstörung der Mutter-Kind-Einheit als „, Frauenförderung, Befreiung und Selbstverwirklichung“ gefeiert, (das erinnert stark an „Feier-Arbeitsschichten“ und „Friedensmauer“ der DDR).
  • Damit die staatliche geförderte Kindeswohlgefährdung  nicht als solche kenntlich wird, wurde sie „frühkindliche Bildung“ genannt und (aus ideologischen und/oder wirtschaftlichen Gründen) eingeführt, lange bevor sie in ihren Auswirkungen im Vergleich zu familienerzogenen Kindern wissenschaftlich seriös erforscht wurde. Und jetzt, wo es solche Studien gibt, werden sie in Abrede gestellt und ignoriert.

Falls Sie ab jetzt doch lieber für Kinder und Familien eintreten wollen, und, weil damit den Familien-Ausbeuter-Mainstream verlassend, dafür noch Argumente brauchen können, bitte …

  • …gewärtigen Sie das Ausmaß und die Folgen der finanziellen Benachteiligung von Eltern im Steuer- und Sozialversicherungssystem, Stichwort: Familienarmut, Altersarmut, etc. (Info-Quelle: „Sozialstaatsdämmerung“ von Jürgen Borchert)
  • …vergewissen Sie sich selbst zu den wissenschaftlich ermittelten Negativfolgen der U3-Betreuung, Stichwort: Risikoerhöhung für Verhaltensprobleme, Depression, Übergewicht, etc. (Info-Quelle: „Auswirkungen frühkindlicher Gruppenbetreuung auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern, von Kinderarzt und Entwicklungsneurologe Dr. med. Rainer Böhm)
  • ….informieren Sie sich und Eltern über Möglichkeiten, sich gesellschaftlich-politisch breiter angelegt für finanzielle Gerechtigkeit für Familien einzusetzen, Stichwort: Pro-familiäre Ausrichtung der etablierten Parteien, Engagement in Familienverbänden und – initiativen.

Würde das Bundesfamilienministerium seinen Namensauftrag und die Gesellschaft ihr Demografie-Problem ernst nehmen, wäre finanzielle Gleichstellung von Eltern und Kinderlosen längst geschaffen. Dann würde ein Großteil der Familien aus der künstlich erzeugten Armut, Kleinkinder aus der Stressbelastung und Mütter aus der Hetze und Getriebenheit der Doppelarbeit durch Erwerbs-Erzwingung befreit sein.  

Und auch die KiTa-Landschaft wäre dann von ihren (Kapazitäts)Sorgen befreit und könnte sich wieder ganz auf den Bereich konzentrieren, wo sie ein wirklich tolles Angebot an Kinder und Familien macht: Gute Halbtagskindergärten für die 4-6-jährigen Kinder.

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüßen,

Dorothea Böhm

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Dr. med. Dorothea Böhm (* 1962) ist Ärztin, Triple-P-Trainerin und Mutter. Über sich schreibt sie:

  «Ich setze mich für eine Familienpolitik ein, die Kindern gerecht wird. Ganz besonderes Augenmerk verdienen meiner Ansicht nach die Bedürfnisse der Kinder zwischen 0 und 3 Jahren, weil sie derzeit, teils aus Unkenntnis, teils aus Wirtschafts­orientiert­heit, nahezu ignoriert werden. Dies ist nicht nur zum Schaden von Kindern (der sich lebenslang auf die späteren Erwachsenen auswirkt) sondern auch zum Nachteil ihrerEltern, denen die Chance entgeht, für die Begleitung ihrer Kinder genügend Zeit, Kraft und Geld zu haben. Und auch Kindern und Jugend­lichen bleibt durch Schul“zwang“ (europäisch gesehen übrigens ein deutsches Solo und ein Relikt aus 1938!) und Pflicht­ganz­tags­schul­pläne immer weniger Spielraum für Mußezeit und selbst­bestimmte Enwicklung. Das Ergebnis der materialistisch orientierten „Alltags­straffung“ ist eine gesell­schafts­weite Minderung von Beziehungs­fähigkeit und persönlichem Lebens­glück, abzulesen unter anderem an der Zahl der Scheidungen und der Häufung psychischer und psycho­soma­tischer Erkrankungen und Zusammen­brüche, oft schon im mittleren Lebensalter. All dies ist kein unaus­weichliches Schicksal. Ich muss und will mich nicht damit abfinden. Die Veränderung setzt voraus, dass man (vor allem die Klein)­Kind-Zeit nicht vorrangig als akademische Trainings­phase begreift und dem emotionalen Familien­gefüge einen sehr viel höheren Wert beimisst. Wir werden es nicht zuletzt am finanziellen Zumaß für Familien­erziehung erkennen.»[1]