Recht und Freiheit 2012?

Beim Hambacher Fest 2012 sprach der Vertreter der Ökologisch-Demokratischen Partei ÖDP, Dr. Johannes Resch, über das Thema: „Ist unser Rechtsstaat in Gefahr?“

Anhand des Elterngeldgesetzes weist Resch nach, wie  durch die Einflüsse der Wirtschaft das Recht der Eltern auf freie Wahl der Erziehungsform unter die Räder kommt.

Liebe Festteilnehmerinnen und Festteilnehmer,

beim Hambacher Fest 1832 spielte die Pressefreiheit eine große Rolle. Die damalige Obrigkeit übte Zensur aus, um missliebige Beiträge zu verhindern.

Heute gibt es keine formale Zensur mehr. Aber die Massenmedien sind mehr oder weniger im festen Griff der Wirtschafts- und Finanzlobby. Die Redaktionen der großen Zeitungen und Zeitschriften haben schon die Schere im Kopf, weil sie bei missliebigen Beiträgen eine Minderung lukrativer Werbe-Einnahmen fürchten. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden über die Rundfunkräte von den politischen Parteien beherrscht, die ihrerseits unter dem Einfluss von Wirtschaft und Banken stehen.

Die Einflussnahme der Wirtschaftslobby ist längst nicht mehr auf Politik und Medien beschränkt. Auch die früher unabhängige Wissenschaft wird zunehmend unterwandert. So werden gezielt Pseudo-Studien bestellt und bezahlt, die den wirtschaftsfreundlichen Ideologien einen wissenschaftlichen und damit glaubwürdigen Anstrich geben sollen. Auf diese Weise nimmt z. B. die Bertelsmann-Stiftung durch die Hintertür massiven Einfluss auf die Gesetzgebung. – Es sind sogar Versuche erkennbar, die im Grundgesetz verankerten Grundrechte der Bürger im Sinne der Wirtschaftsinteressen umzudeuten.

In Diktaturen werden Grundrechte der Bürger durch Zuckerbrot und Peitsche eingeengt. Gefängnis für die Widerspenstigen und Vergünstigungen für die Mitläufer. In unserer Gesellschaft kommt die Bevormundung der Bürger auf leiseren Sohlen daher. Auf direkte Gewalt wird verzichtet. Dafür wird das Zuckerbrot um so konsequenter eingesetzt. Wer sich nach den wirtschaftskonformen Vorgaben verhält, wird belohnt. Wer das als Zwangsjacke empfindet und sich dagegen wehrt, wird ausgehungert.

Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das seit 2007 geltende Elterngeldgesetz. Das zuvor bestehende Erziehungsgeldgesetz, berücksichtigte soziale Gesichtspunkte und begünstigte Mehr- Kind-Familien. Das Elterngeldgesetz ist dagegen ein steuerfinanziertes Mittel der Bevormundung der Eltern. Es wird als „Familienförderung“ getarnt, soll aber in Wirklichkeit dazu dienen, Eltern so zu dressieren, dass sie nach der Pfeife der Wirtschaftslobby tanzen. Ziel ist die Optimierung des Arbeitsmarkts, um die Profitgier zu befriedigen.

Beispiel 1:
Eine Lehrerin bekommt ein erstes Kind und erhält 1800 € monatlich Elterngeld für ein Jahr. Bekommt sie nach zwei Jahren ein zweites Kind und hat ihr erstes ab dem 13. Monat in eine Krippe gegeben, um wieder erwerbstätig zu sein, erhält sie wieder 1800 €/Monat.- Hat sie aber ihr erstes Kind zwei Jahre lang selbst betreut, erhält sie beim zweiten Kind nur 375 € monatlich, also insgesamt 17100 € weniger. Das ist für ein junges Paar sehr viel Geld. – Woher nimmt der Staat das Recht, die Entscheidung einer Mutter (oder eines Vaters), das eigene Kind länger als ein Jahr selbst zu betreuen, mit einer Minderleistung von 17100 € zu bestrafen? Dafür gibt es keine sachlichen Gründe außer einer Gewinnmaximierung der Wirtschaft durch Erzielung eines höheren Arbeitskräfteangebots und einer Beschäftigungsgarantie für die Diakonie und ähnliche Konzerne.

Beispiel 2:
Bekommt die Lehrerin ihr erstes Kind schon direkt nach dem Examen oder noch während des Studiums, z. B weil sie nicht abtreiben wollte oder weil sie bewusst eine junge Mutter sein wollte,

dann wird sie ebenfalls mit einer Minderleistung bestraft, in diesem Fall um 18000 €, weil sie nur den Mindestbetrag von 300 € monatlich erhält. – Woher nimmt der Staat das Recht, die Entscheidung, nicht abzutreiben oder einfach nur eine junge Mutter sein zu wollen, mit der Minderleistung in dieser Höhe zu bestrafen?

Diese beiden Beispiele zeigen, dass es beim Elterngeldgesetz weder um einen sozialen Ausgleich noch um eine „Familienförderung“ geht. Die Lehrerin, die ihr Kind länger als ein Jahr betreute und die studentische Mutter sind stärker auf das Geld angewiesen, bekommen aber nur einen Bruchteil im Vergleich zur Mutter, die vor der Geburt erwerbstätig war. Soziale Absichten des Elterngeldgesetzes scheiden also aus. Auch eine „Familienförderung“ kann nicht Ziel des Gesetzes sein, weil die Leistung bei einem zweiten Kind meist geringer ist als bei einem ersten und bei weiteren Kindern in der Regel weiter geringer wird, weil das Elterngeld vom Verdienst vor der Geburt abhängt. – Es kann kein Zweifel sein: Das Elterngeldgesetz hat zum Ziel, Eltern zu willfährigen Werkzeugen der Wirtschaft zu machen, unabhängig davon, ob sie das wollen oder nicht.

Dabei haben die verantwortlichen Regierungsvertreter sogar die Frechheit zu behaupten, Eltern hätten ja Wahlfreiheit. Es werde niemand gezwungen, schon nach dem ersten Lebensjahr voll erwerbstätig zu sein. Aber es ist eine Wahlfreiheit nach dem Motto „Friss oder stirb!“ bzw „Nimm 1000 € für die Krippe oder geh leer aus!“ Wer das Letztere wählt, wird bei einem nächsten Kind dann nochmal mit einem Nachteil von 17100 € (oder bei dreijährigem Abstand von 18000 €) bestraft.

Sogar das Bundesverfassungsgericht scheut davor zurück, sich mit dem Machtkonglomerat Wirtschaft / Regierung / Medien anzulegen, obwohl das Elterngeldgesetz in klarem Gegensatz zu älteren Entscheidungen des Gerichts steht. Bisherige Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz, darunter eine, die von der ÖDP unterstützt wurde, wurden „nicht zur Entscheidung angenommen“. Solche „Nichtannahmebeschlüsse“ einer aus drei Richter/innen bestehenden Kammer brauchen nicht näher begründet zu werden. Es genügt die lapidare Behauptung, eine Beschwerde habe keine „grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung“ (§ 93a Abs. 2 BVerfGG).
Wenn aber der systematischen Benachteiligung von bis zu 18000 € für Mehr-Kind-Familien und für junge Eltern keine „grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung“ zugeordnet wird, dann ist zu fragen, ab welchem Geldbetrag diese Bedeutung beginnt.

Wenn das Bundesverfassungsgericht der verfassungsrechtlichen Würdigung des Elterngeldgesetzes weiter ausweicht, ist zu fragen, welchen Stellenwert die vom Grundgesetz geforderten Grundrechte in unserem Land überhaupt noch genießen. Grundrechte, die selbst vom zuständigen Gericht nicht mehr hinterfragt werden, verlieren ihren Wert. Unser Rechtsstaat ist in Gefahr!

Infos zum Hambacher Fest: www.hambacherfest.de Weitere Informationen zum Elterngeldgesetz unter:

http://www.oedp.de/aktuelles/aktionen/gerechtes-elterngeld/

oder (einschließlich dieses Manuskripts) unter: www.johannes-resch.de (Karteikarte: Elterngeldgesetz – ein Angriff)

Dort finden Sie auch weiterführende Links mit weiteren Informationen zum Elterngeldgesetz, u. a. ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Thorsten Kingreen

V. i. S. d. P.:
Dr. Johannes Resch, Bahnhofstr. 20, 76872 Winden

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