Die Schwäbische Zeitung titelt am 16. Juni zum Boykott der ersten Lesung über das Betreuungsgeld: „Union stolpert beim Betreuungsgeld“ .
Dass 126 Unionspolitiker bei der Abstimmung fehlten, sei ein „stummer Protest gegen Merkel“, meinte Thomas Oppermann SPD.
Sabine Lennartz nennt in ihrem Leitartikel das Verhalten der Opposition zwar Trickserei, aber das Ergebnis sei gut, denn „jetzt könne erst mal in Ruhe nachgedacht werden“. „Einen ganzer Sommer lang Betreuungsgeld“ prophezeit Oppermann hämisch, stehe jetzt auf der Agenda von CDU/FDP. Einträchtig teilt Frau Lennartz die Ansicht des SPD-Fraktionsgeschäftsführeres.
Dazu ein Kommentar der ELTERNINITIATIVE FÜR FAMILIENGERECHTIGKEIT, der als Leserbrief von der Schwäbischen Zeitung voraussehbar abgelehnt wurde:
In Ihrer Berichterstattung über die geplatzte erste Lesung zum Betreuungsgeld findet sich kein Wort darüber, was der S o u v e r ä n, nämlich der Wähler, von seinen Abgeordneten erwartet. Haben wir, die Wähler, unseren Abgeordneten unsere S t i m m e gegeben, damit sie „stumm protestieren“ oder damit sie in unserem Namen ihre Stimme erheben? Diese Frage muss sich die Koalition sowie die Opposition stellen. Die Damen und Herren werden von uns gewählt, um uns zu vertreten. Sie werden von uns finanziell so gut ausgestattet, dass ihnen diese Vertretung zugemutet werden kann. Egal, um welches Gesetzesvorhaben es geht, unsere Vertreter müssen bei den Beratungen a n w e s e n d sein. Das Für und Wider und deren Folgen abzuwägen, das ist ihre eigentliche Königsdisziplin. Die Autorin irrt, wenn sie schreibt, „Abgeordnete seien freie Menschen“, die ihre Arbeit entweder tun oder lassen dürften. Nein, Abgeordnete haben ihre Wählerschaft zu vertreten und gemäß ihrem Gewissen mit ja oder nein zu s t i m m e n, aber für Boykott werden sie nicht bezahlt. Der Zustand unseres Parlaments ist mehr als beschämend. Das Schlimmste aber ist, dass unsere Parteien mit ihrem kindischen Gezänk um Peanuts unser Ansehen vor aller Welt besudeln.
i. A. Bärbel Fischer
Dazu auch:
„Kleines, dreckiges Foulspiel“ schadet der Demokratie:
Arbeitsverweigerung des Bundestages ist Eklat für das repräsentative System
Außer Plan musste am 15. Juni 2012 die 185. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages vorzeitig beendet werden. Nach Angaben von Vize-Präsidentin Pau war das Haus nicht mehr beschlussfähig, da die notwendige Anzahl an Abgeordneten nicht erschienen war. Bei der Abstimmung zur Verankerung eines Presse-Grossos musste nach dem „Hammelsprung“ festgestellt werden, dass die Zahl der anwesenden Parlamentarier nicht mehr ausreichte, um Entscheidungen zu fällen. Somit musste die weitere Tagesordnung aufgehoben und verschoben werden. Unter anderem fiel somit auch die angekündigte Erste Lesung zum „Betreuungsgeld“ aus. Das Vorhaben und die Beschlussfassung verzögern sich hierdurch bis nach der Sommerpause.
Die Mutmaßung, dass hinter Vielzahl an abwesenden Abgeordneten auch ein Protest gegen das „Betreuungsgeld“ stecken könnte, machte schnell die Runde – und wurde alsbald auch von Opposition und wehleidigen Parlamentariern der Koalition bestätigt. Ein „Trick“, ein „Coup“ sei es gewesen, sagen die einen – ein „dreckiges Foulspiel“ die Anderen. Doch sie alle verschweigen damit, dass hinter der Aktion ein weitreichendes Problem unserer parlamentarischen Demokratie liegt. Denn selbst wenn es laut Regularien legitim gewesen sein mag, ist es mehr als ein Affront. Und schon gar kein Grund, irgendeiner Seite Häme zu zeigen – dafür liegt in dem Vorfall viel zu große Brisanz.
Ich sage: Es kommt einem Eklat gleich, wenn die Mitglieder des Deutschen Bundestages in derart großer Zahl einer Sitzung fernbleiben. Es ist verfassungsrechtlich kritisch zu sehen, wenn dieser Trend einreißt: Die Lenkung von Debatten und politischen Entscheidungen durch das Blockieren in Form von Fernbleiben der Sitzungen stellt nach meinem Verständnis ein grobes Verletzen der Pflichten eines Abgeordneten dar und ist überdies ein Affront gegenüber dem Souverän, dem Volk. Die Beeinflussung und das zum Erliegen Bringen von parlamentarischen Abläufen durch derartigen Protest kann mit der Verantwortung, die der Deutsche Bundestag und seine Mitglieder gegenüber unserem Grundgesetz und den Bürgerinnen und Bürgern zu übernehmen kann, nicht vereinbart werden.
Die Einflussnahme auf den politischen Prozess durch taktisches Verzögern ist eine neue Form, Boykott auszuüben. Den Deutschen Bundestag durch Abwesenheit zur Beschlussunfähigkeit zu zwingen und damit eventuelle Zeitpläne durcheinander zu bringen, Zeichen zu setzen oder Abstimmungen zu manipulieren ist überdies ein bedenkenswerter historischer und gleichzeitig gefährlicher Akt, der nun auch das Präsidium des Hauses aufrütteln sollte: Klare disziplinarische Maßnahmen und härtete Sanktionen gegen die Parlamentarier werden unumgänglich, um die Abgeordneten zur Räson zu rufen. Mitglieder des Bundestages erhalten ihre Diäten für ihre Arbeit, die sie unter anderem durch Beteiligung an den Plenarsitzungen zu erbringen haben. Eine Nichtnachkommen dieser Aufgaben stellt nahezu eine Verweigerungshaltung dar, die nicht nur für unser demokratisches und parlamentarisch-repräsentatives System eine Bedrohung bedeutet; sie schwächt auch zusätzlich das ohnehin angeschlagene Image von Politik in der Bevölkerung bestätigt Vorurteile gegenüber Politikern.
Schon lange wird über häufiges „Schwänzen“ der Parlamentarier im Deutschen Bundestag debattiert. Sollte dies nun überhand nehmen oder als politisches Mittel zur Machtdemonstration missbraucht werden, sind klare Grenzen erreicht. Ob „geschickter Schachzug“ oder ein Grund zum Schämen für die Opposition: Nicht nur, dass sich das Parlament einer Sachdebatte entzogen hat und sich damit der Arbeit widersetzt hat (in der freien Wirtschaft wären viele Abgeordnete schon lange vor die Tür gesetzt worden); der Schaden für das Ansehen der (deutschen) Demokratie und das zerrüttete Bild über die politische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik werden nachhaltige Folgen im Image unseres Landes und der Vorbildhaftigkeit eines repräsentativen Systems haben.
Dennis Riehle, Martin-Schleyer-Str. 27, 78465 Konstanz
Georg Paul Hefty vermutet in der FAZ, dass der rot-grüne Boykott eine Notbremse war, aus der Befürchtung heraus, die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten könnten f ü r das Betreuungsgeld stimmen, was für die Opposition eine saftigen Blamage gewesen wäre. Dass dieses undemokratische Oppositionsverhalten ein glattes Eigentor war, davon ist Hefty überzeugt. Denn künftig könnten die Regierungsparteien diesen TRICK ebenfalls nutzen, um unliebsame Gesetzesentwürfe zu boykottieren.
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kommentar-zerstoert-11787288.html
„Es ist Aufgabe der Mehrheit, die Mehrheit darzustellen“, meint Volker Beck SPD und rechtfertigt damit den Boykott der 1. Lesung zum Betreuungsgeld. Ebenso mutmaßt Thomas Oppermann, 80% der Abgeordneten würden gegen das Betreuungsgeld stimmen, wenn man die Abstimmung frei gäbe. Hellseherisch weiß er schon vor der Abstimmung, wer die Mehrheit besitzt, denn er folgt offenbar der Meinungsmache von Medien, Wirtschaft oder von Stammtischen.
Bisher war das allerdings so in unserer Demokratie, dass die Mehrheit erst n a c h den vorgeschriebenen Lesungen durch eine Abstimmung ermittelt wurde. Wenn allerdings künftig Hellseherei genügt, dann brauchen wir keine Wahlen, keine Parteien und keine Abgeordneten mehr. Hier zeigt die Opposition ein Demokratieverständnis aus der untersten Schublade.