Wenn Eltern Fremde sind

Die Frontal 21 -Sendung vom 12. Februar 2019 brachte ab Minute 27 einen Beitrag zu den Wochenkrippen der DDR.

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/frontal-21-vom-12-februar-2019-100.html

Im Hinblick darauf, dass bereits ein Trend auf immer längere Fremdbetreuung an Fahrt aufnimmt, sollte dieser Beitrag zu denken geben.

2 Gedanken zu „Wenn Eltern Fremde sind

  1. Es ist schon merkwürdig, dass alte Menschen so lange wie möglich zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung gepflegt werden sollen. Wenn diese die Pflege nicht mehr leisten können wird ihnen vorgeworfen, sie würden den alten Menschen „abschieben“.
    Kinder dagegen können wohl problemlos über viele Stunden in Krippen gegeben werden, sie brauchen keine vertraute Umgebung und auch nicht mehr Zeit zusammen mit ihren Eltern. Oder liegt es einfach daran, dass die Wirtschaft billige Arbeitskräfte braucht und Familien finanziell inzwischen auf zwei Gehälter angewiesen sind? Hinzu kommt noch die Mißachtung der Erziehungsleistung bei den eigenen Kindern.

  2. Frau Beckenbach hat in ihrem Kommentar einen wichtigen Punkt aufgegriffen – herzlichen Dank! Wieso werden etwa in der Altenpflege andere Maßstäbe angelegt als in der Kinderpflege? Oder wieso kostet ein sog. unbegleiteter Flüchtling den Staat mehr als zehnmal so viel wie ein Schüler? Das liegt an den „Standards“ .

    Bis Mitte der neunziger Jahre sagte mir der Begriff „Standard“ im Zusammenhang mit der Sozialarbeit nichts. Erst im Verlauf eines Konfliktes zwischen uns Schulleitern in Saarbrücken und dem Schulträger lernte ich ihn kennen.
    Wir Schulleiter mussten uns Jahr für Jahr in den Dienstsbesprechungen mit dem Schulträger anhören, dass es wieder einmal an Geld mangele und dass deshalb die Ausstattungen der Schulen weit hinter dem Gewünschten, ja dem Gebotenen zurückbleiben würden. Es wurde uns freimütig erklärt, woran das läge: Die Verpflichtungen im sozialen Bereich seien ernorm hoch. Ob denn keine solche Verpflichtungen unseren Schülern gegenüber bestünden? Nun ja, war die halb verlegene Antwort, zu der Ausstattung der Schulen gäbe es keine verpflichtenden Standards. Da war es, das Wort „Standard“. Ich beschäftigte mich genauer damit.

    Erstes, bis heute gültiges Ergebnis: Während heute ein Schüler pro Jahr etwa 7000 Euro kostet – darin ist alles eingerechnet, alle Personalkosten vom Lehrer bis zum Hausmeister, jede Art von Sachkosten – sind für einen im Heim betreuten Jugendlichen bis zu 5000 Euro im Monat(!) aufzuwenden ( zur Herkunft dieser Zahlen s. u.). Denn im letzteren Fall hat man sich an Vorgaben zu halten, die heftig ins Geld gehen: Anwesenheit von Sozialarbeitern rund um die Uhr, Kochen und Verpflegen ohne dass der Betreute selbst eine Hand rühren muss, individuelle Hilfe durch Fachkräfte bei den schulischen Hausaufgaben, angemessen ausgestattete Zimmer, Taschengeld u.s.w.. Diese Vorgaben nennt man „Standards“, sie werden nicht per Gesetz festgelegt, sondern sind in Verordnungen zu den Gesetzen zu finden; Verordnungen zu erlassen ist Sache der Regierungen und der Behörden, nicht des Gesetzgebers. Übrigens müssen aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2012 diese Standards auch auf die Betreuung der sog. unbegleiteten Flüchtlinge aufgewendet werden, weshalb die Kosten dazu ins Uferlose steigen.

    Zweitens. Während z.B. die Ausstattung von Büroarbeitsplätzen, vom Platzbedarf des Beschäftigten angefangen über die Raumtemperatur bis hin zu den neuerdings ins Gespräch gekommenen Grenzwerten für Luftschadstoffe, in Arbeitsplatzverordnungen festgelegt sind, sucht man dergleichen für Schüler vergeblich. Da gibt es Empfehlungen, Gepflogenheiten, aber eben keine zwingenden Standards. Da kann es vorkommen, dass neunundzwanzig Jugendliche mit Gardemaß sich auf Ministühle klemmen müssen und in einen Raum eingepfercht werden, der zur Zeit seiner Erbauung vor mehr als hundert Jahren höchstens zwanzig Leute aufgenommen hat. Selbstverständlich gibt es in Schulen keine Klimaanlagen, obwohl die Hitzefreiregelung längst abgeschafft worden ist.
    Bis heute kann ich nicht verstehen, dass die Eltern meiner Schüler, die ich immer wieder dazu genauestens aufgeklärt habe, sich nie empört haben.

    Frau Beckenbach spricht die Betreuung von Alten an und vergleicht diese mit der Betreuung von Kindern. Auch zur Altenbetreuung gibt es Standards. Dazu die folgende Episode.

    Als einer unserer alten Nachbarn, nennen wir ihn Willi, in die Demenz abglitt, stand seine Freundin zur Betreuung parat . Die bat mich eines Tages um eine kleine Handreichung. Im Haus des Nachbarn angekommen traf ich auf einen jungen Mann. Der sollte den Willi abholen, was er zweimal die Woche tat, auf dass er ihn zu einer Gesprächsrunde mit anderen Alten bringe. So habe der Willi seine Unterhaltung, meinte die fürsorgliche Freundin. Aha, zur Bespaßung des Willi und seiner Freunde werden junge Männer in Marsch gesetzt. Hat man je gehört, dass zur Entlastung einer Mutter, welche die Nacht über kein Auge zugetan hat, weil ihr Kind erkältet ist, sogleich ein Helfer ausgesandt wird? Ich vergaß: Zur Bespaßung der alten Willis gibt es Standards, zur Hilfe von Müttern, die ihr Kind pflegen und erziehen, vermutlich nicht. Fehlen dieser Standards ist „Mißachtung der Erziehungsleistung“ : Sie sagen es, Frau Beckenbach!

    Zur Herkunft der oben genannten Zahlen. Die Ausgaben pro Jahr und Schüler stammen vom Bundesamt für Statistik, veröffentlicht u.a. im SPIEGEL – online im Februar 2019. Die Ausgaben pro Heimplatz und Monat stehen seit Jahren so in der Presse; sie scheinen zu stimmen, denn im Jahr 2010 kostete ein Heimplatz für ein Kind in Saarbrücken pro Tag 125 Euro. Dieser Betrag dürfte heute höher sein; erst recht die Aufwendungen für einen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, dem u.a. ab 18 Jahren eine eigene Wohnung zusteht.

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