Zum internationalen Tag der Familie
Der Erziehungswissenschaftler Dr. Albert Wunsch macht sich Gedanken zu der Aufgabe des Staates, die traditionelle Vater-Mutter-Kind-Familie zu fördern, weil in ihr gemäß eindeutiger Studien, Kinder am besten gedeihen.
„Protokoll des Grauens“ : So lautete eine Überschrift zu einem Artikel im SPIEGEL 8/2014, S. 124. Und im Untertitelt hieß es dazu: „Hirnforscher haben das Schicksal rumänischer Heiminsassen verfolgt und mit dem von Kindern in Pflegefamilien verglichen“.
Der Artikel fasst eine 416 Seiten starke Untersuchung von Forschern der Universität Harvard zusammen: Charles Nelson, Nathan Fox, Charles Zenah : „Romania’s Abondonend Children“, Harvard University Press, Cambridge.
Ziel der Untersuchung war, die Folgen sozialer Verwahrlosung zu dokumentieren und herauszufinden, ob sie durch Zuwendung in Pflegefamilien behandelbar, sprich: zu mildern oder zu heilen sind.
Die Untersuchungen begannen im Jahr 2000; der erwähnte Zwischenbericht stammt aus dem Jahr 2013. Man hatte nach Dokumentation des Anfangszustandes 136 körperlich gesunde Waisen in einem Bukarester Waisenhaus im Alter zwischen sechs und einunddreißig Monaten als Probanden ausgewählt; die Hälfte kam in Pflegefamilien, die andere Hälfte blieb als Kontrollgruppe im Heim. Wohlgemerkt: Es handelte sich nicht um ein verlottertes Heim in der Provinz, sondern um eine Art Vorzeigeinstitut in der rumänischen Hauptstadt.
Dennoch war der Anfangsbefund erschütternd. Er erinnert an die Bilder, die den deutschen Fernsehzuschauern in den neunziger Jahren aus rumänischen Heimen geboten wurden: Kleinwüchsige, frierende, zitternde, seelisch erstarrte, geradezu erstorbene Kinder, die nicht in der Lage sind, Gefühle auszudrücken. Im Detail stellten die Untersucher fest, dass die Kinder in allen wichtigen messbaren Merkmalen – z.B. Sprachvermögen, Sprachverständnis, allgemeine geistige Regsamkeit – weit hinter anderen Gleichaltrigen zurückgeblieben waren.
Nur Könner ihres Faches sind in der Lage, solche Untersuchungen durchzuführen. Wenn herausgefunden werden soll, wie sich eine Variable – hier die Zuwendung in Pflegefamilien – auf die Entwicklung anderer Merkmale auswirkt, so müssen alle anderen Variablen – z.B. Ernährung, materieller Standard – gleich gehalten oder zumindest kontrolliert werden; die Anzahl der Probanden muss groß genug sein, die Zusammenstellung der Gruppen muss zufällig erfolgen, die Pflegefamilien müssen aus vergleichbaren sozialen Schichten stammen u.s.w.. Ich nehme an, dass die renommierten Forscher aus Havard, die einen guten Ruf zu verlieren haben, ihr Handwerk verstanden haben, so dass man ihren Ergebnissen vertrauen kann.
Die Frage war, ob das unter Beobachtung stehende Merkmal, die Zuwendung in den Pflegefamilien, das Zurückbleiben der ehemaligen Heimkinder gegenüber Gleichaltrigen aufhalten, wenigstens verlangsamen könnte. Die erfreuliche Nachricht: Ja, und nicht nur das! „Kaum hatten sich die Kleinen“, so berichtet der SPIEGEL , „in der neuen Umgebung eingelebt, plapperten sie munter drauflos, und bald war ihr Sprachvermögen nicht mehr von dem normaler Altersgenossen zu unterscheiden.“ Auch in vielen anderen Merkmalen hatten die Pflegekinder gegenüber den Gleichaltrigen aufgeholt. Die nicht so Glücklichen aus der Kontrollgruppe, die in der „Obhut“ des staatlichen Pflegeheimes verblieben waren, blieben in ihrer Entwicklung zurück.
Eine Einschränkung des guten Befundes: Je älter die Kinder bei der Aufnahme in die Pflegefamilie waren, desto weniger Fortschritte machten sie. Wer bis zum Alter von gut zwei Jahren nicht in einer Pflegefamilie untergekommen war, bei dem hatte sich das Entwicklungsfenster geschlossen.
Charles Nelson fasste den Befund so zusammen: „Für die Symptome der Vernachlässigung ist Bindung die beste Kur.“ Fügen wir als Folgerung hinzu: Damit die Symptome der Vernachlässigung gar nicht erst auftreten, ist die Bindung in einer Familie die beste Vorsorge.
Wie reagierten die im Heim Beschäftigten auf die Tätigkeit der Forscher? Hierzu schreibt der SPIEGEL : „Mit Misstrauen und Unbehagen begegneten die Schwestern von St. Catherine den Forschern, die in ihr Reich eingedrungen waren….Denn sie wussten: Das Waisenhaus in Bukarest ist das Herzstück einer ausgedehnten Betreuungsindustrie in Rumänien – und die Forscher aus Amerika stellten diese Industrie in Frage.“ Und fügt einen Rückblick auf die kommunistischer Ära an : „Die Aufgabe der Erziehung indes war keineswegs nur den Familien vorbehalten. Gezielt warben Ärzte und Sozialarbeiter dafür, im Fall von Schwierigkeiten die Kinder lieber beim Staat in Obhut zu geben. Nirgendwo werde besser für sie gesorgt als dort.
Getrieben von Ceausescus Wahn, ein kopfstarkes Volk gefügiger Untertanen heranzuzüchten, wuchs so in den Heimen ein Heer seelischer Krüppel heran.“
Was geschieht heute hierzulande ? Da wird das Almosen namens Betreuungsgeld von der Familienministerin als „Herdprämie“ und als „Fernhalteprämie“ verunglimpft. Hätten die armen Kinder in Rumänien nur einen Herd gehabt, an den sie sich hätten flüchten können, hätte nur jemand sie aus staatlicher Obhut ferngehalten!
Liest sich der Rückblick auf die Zustände in der Kommunistenzeit nicht wie ein Vorausblick auf das, was hierzulande sich anbahnen könnte? Sind die Schalmeientöne der Ärzte und Sozialarbeiter des Ceausescu nicht auch schon bei uns zu hören?
Danke, Herr Dr. Brosowski, für diesen aussagekräftigen Spiegel-Artikel!