Traut die Ministerin den Eltern über den Weg?

 Ein ungewöhnlich guter Kommentar von Olaf
Gersemann zur Diskussion um das Betreuungsgeld:


KOMMENTAR 

Widerstehen Sie der FDP, Frau Ministerin Köhler!  

 

  VON OLAF GERSEMANN
  30. November 2009, 18:16 Uhr

  Die junge Familienministerin Kristina Köhler (CDU) hat die Amtsgeschäfte aufgenommen. Die 32-Jährige wird sich durchbeißen müssen, um aus dem Schatten Ursula von der Leyens zu treten. Ihre erste Herausforderung heißt „Betreuungsgeld“. Hier muss sie einer anmaßenden Politik der FDP entgegentreten.

Eine Diplomsoziologin wird Familienministerin: Die CDU-Politikerin Kristina Köhler …  

Die neue Familienministerin wird kämpfen müssen. Weil es schwer werden wird für die junge Christdemokratin, aus dem Schatten ihrer Vorgängerin und Parteifreundin Ursula von der Leyen zu treten.

Weil von der Leyen mit dem Elterngeld und dem Ausbau der Kinderbetreuung bereits Pflöcke eingeschlagen hat. Aber auch, weil sich Kristina Köhler mit einem Problem herumschlagen muss, das scheinbar nebensächlich, in Wirklichkeit aber von enormer Brisanz ist.

Darum geht es: Die Koalition will Eltern, die ihre Kleinkinder selbst betreuen, künftig eine Subvention von 150 Euro im Monat zukommen lassen. Dieses Betreuungsgeld, besser bekannt unter dem von der Opposition verwendeten Kampfbegriff „Herdprämie“, soll es aber nach dem Willen der Freidemokraten nur als Gutschein geben.

Die Gutscheine sollen eingelöst werden können gegen noch zu bestimmende Sachleistungen. Gibt Köhler dem Drängen der FDP nach, wird ihr Name mit einem der schlimmsten Fehlgriffe des deutschen Wohlfahrtsstaats im vergangenen Vierteljahrhundert verbunden sein.

Eltern, so die implizite Annahme der FDP, ist nicht über den Weg zu trauen. Gibt man ihnen Geld, scheint ausgerechnet die selbsterklärte Steuersenkerpartei zu glauben, tragen die das nur in die Kneipe oder zum nächsten Zigarettenautomaten.

Für ihre Kinder tun sie nur das für richtig Befundene, wenn der Staat sie dazu zwingt. Was das Richtige ist, das kann natürlich niemand objektiv sagen – außer natürlich der FDP, die ist zu einer solchen Anmaßung bereit.

Und die Partei ist auch bereit, ihr eigenwilliges Verständnis vom Sozialstaat zu outen. Bei dem geht es um eine Kombination aus Altruismus und Rückversicherung: Wir, die Mehrheit, helfen einer Minderheit, die gestrauchelt ist oder aus sonst einem Grund der Unterstützung bedarf. Um dieser Minderheit willen, aber auch in dem Wissen, dass wir selbst einmal Hilfe gebrauchen könnten.

Bei der FDP scheint dagegen ein ganz anderes Leitmotiv durch: Die Freidemokraten wollen die Mittel des Sozialstaats einsetzen, um ihre Vorstellungen vom Gut und Richtig bei der Kindeserziehung durchzusetzen.

„Social engineering“ nennen angelsächsische Sozialwissenschaftler so etwas. Das passt gut zum wohlfahrtsstaatlichen Machbarkeitswahn der 60er- und 70er-Jahre. Aber nicht ins 21. Jahrhundert und erst recht nicht auf die Agenda einer sich liberal nennenden Partei.

Nein, werden die Freidemokraten rufen, so meinen wir das alles nicht: Nur ein Teil – sagen wir: fünf Prozent – kann nicht mit Geld umgehen.

Aber selbst wenn das richtig wäre: Könnte das ein Grund dafür sein, das Verhalten der übrigen 95 Prozent gleich mitzuregulieren? Man kann diese Frage durchaus, wie die FDP es tut, bejahen. Dann allerdings sollte man auch konsequent sein – und Familien gleich ganz von erzieherischer Eigenverantwortung entbinden, und zwar alle.

Und weil nicht einmal die FDP im Ernst erwarten kann, ein 150-Euro-Gutschein allein werde dazu führen, dass Eltern ihre Kinder so behandeln, wie die Parteiführung sich das wünscht, könnte man außerhäusige Ganztagesbetreuung gleich zur Pflicht machen.

Kurzum, die FDP wandelt auf einem Abweg. Und es wird Frau Köhler sein müssen, die sie stoppt. Auf ihre Parteivorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel, und CSU-Chef Horst Seehofer wird sie kaum zählen können. Die beiden nämlich werden, um die letzten Reste des Koalitionsfriedens zu wahren, am Ende kompromissbereit sein.

Einen Kompromiss aber darf es in dieser Frage nicht geben. Der nämlich könnte im Grunde nur so aussehen, dass der Staat sich noch dazu anmaßt zu bestimmen, wer zu den fünf (oder zehn oder 20) Prozent der Eltern gehört, die nur eines Gutscheins würdig sind.

Dass Kristina Köhler sich durchsetzen wird gegen die geballte Macht des Koalitionsestablishments: Man wagt es kaum zu hoffen.

Aber zumindest den Kampf sollte sie aufnehmen. Der Sache wegen. Aber vielleicht auch im eigenen Interesse.

Auch Karl-Theodor zu Guttenberg wurde in seiner Anfangszeit als Wirtschaftsminister von vielen gewogen und für zu leicht befunden. Das änderte sich erst nach jener Opel-Rettungs-Nacht im Mai, als Guttenberg mit seinem konsequenten Nein der letzte Aufrechte im Kanzleramt blieb.

Frau Köhler, dies darf man unterstellen, wird den Fall genau registriert haben.

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