Mut zu Kindern – aber wie?


Die Zeiten, in denen Kinderkriegen eine Selbstverständlichkeit war, sind vorbei. Das ist zwar schon lange bekannt. Doch erst jetzt, wo die Rentenkassen leer sind, lösen die Geburtenraten-Statistiken das große Erschrecken aus. Die Bundesrepublik rangiert mit ihrer Geburtenrate auf den hinteren Plätzen der Industriestaaten. Deutschlands Frauen bringen im Schnitt nur noch 1,36 Kinder zur Welt. Um die Bevölkerung stabil zu halten, wären aber 2,1 Kinder erforderlich. Und schon jetzt ist die Bevölkerung völlig überaltert.

Kein Wachstum durch Zuwanderung

Nicht das einzige Lebensmodell: Familiengründung

Der Mangel an Steuer- und Beitragszahlern lässt das Thema Kinderkriegen zum Politikum werden. Lange Zeit wurde angenommen, der Babymangel lasse sich durch verstärkte Zuwanderung ausgleichen. Doch wenn die Überalterung lediglich mit Hilfe der Zuwanderung gestoppt werden sollte, müsste Deutschland „bis 2050 netto 188 Millionen Einwanderer aufnehmen“, hat der Bevölkerungsforscher Herwig Birg ausgerechnet. Die Zahl sei so hoch, weil „jüngere Einwanderer den Altenquotienten nur kurzfristig verringern, aber langfristig erhöhen, wenn sie selbst zur Gruppe der 60-Jährigen und Älteren gehören.“

Die Gründe für die Kinderlosigkeit sind vielfältig. Mit der Anti-Baby-Pille und dem Abtreibungsrecht wurde es Frauen möglich, die Zahl ihrer Kinder selbst zu bestimmen. Und „Sex ohne Folgen“ veränderte die Beziehungen. Daraus ergaben sich vielfältige Lebensmodelle. Selbstverwirklichung mit Kindern und Familie sind nur eine Option, Selbstverwirklichung an der Seite von wechselnden Lebensabschnittsbegleitern oder als Single eine andere. Die Entscheidung für eine berufliche Karriere ist ohne Kinder oft leichter. Und dann gibt es noch eine wachsende Gruppe, die keine Kinder kriegen kann. Bei jedem sechsten Paar mit Kinderwunsch leidet zumindest einer der Partner unter Fruchtbarkeitsstörungen.

Der Wunsch nach Kindern bleibt

Kinder – nicht nur ein bevölkerungsstatistischer Faktor, sondern ein Gewinn für jede Gesellschaft

Der Kinderwunsch ist trotz des gesellschaftlichen Wandels relativ konstant geblieben. Im Schnitt erhofften sich junge Deutsche im Jahr 2005 2,2 Kinder. Die Politik muss also gar keine Überzeugungsrabeit leisten. Doch offenbar müssen die Bedingungen verändert werden, damit sich die Möchte-gern-Eltern auch tatsächlich zur Familiengründung entschließen.

Das bevorzugte Mittel und die einfachste Lösung scheint für die Parteien zu sein, mehr Geld zu versprechen: Elterngeld, Kindergeld oder indirekte Zuwendungen wie Steuererleichterungen und niedrige Beitragssätze bei der Renten- und Pflegeversicherung. Fast alle Maßnahmen wurden und werden mit dem Verweis auf Rentabilität vorgetragen – letztlich steckt das auch hinter Plänen, die Kinderbetreuung auszubauen. Denn arbeitende Mütter und Väter steigern das Bruttosozialprodukt und zahlen Steuern und Beiträge in die Rentenkassen. Es geht dabei nicht im ideellen Sinne um Familien- oder Kinderfreundlichkeit. Betreuungseinrichtungen werden nach dieser Logik als notwendiges Übel gesehen, die sein müssen, damit die Eltern arbeiten können. Dass Kinder und Eltern, ja sogar die gesamte Gesellschaft, davon profitieren könnten, wenn ausreichend Geld für Betreuung und Bildung zur Verfügung stünde, wird kaum thematisiert.

Geld alleine reicht nicht

Selbst wenn die äußeren Bedingungen für Familien bzw. für das Leben mit Kindern stimmen würden, würden sich wahrscheinlich auch nicht alle ihren Kinderwunsch erfüllen. Denn da gibt es ja noch die „Zeitfalle“, wie es der Soziologe Hans Bertram nennt. „Junge Leute sollen innerhalb weniger Jahre – zwischen 25 und 35 – alles auf einmal hinkriegen, sich beruflich etablieren, einen Haushalt aufbauen, eine Familie gründen, die Kinder erziehen, für die Rente vorsorgen“, sagt er im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Die 35-Jährigen wüssten, dass ihre Jobs nicht sicher sind und dass sie die Segnungen des Wohlfahrtsstaates im Alter nicht erwarten können.

Flexible Arbeitszeiten als Problem

In den sechziger und siebziger Jahren reichte häufig ein Einkommen, um eine Familie abzusichern. Das wiederum gewährte der Familie Zeit für die Kinder. Noch bis 1990 hatten laut einer Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach vom April fast 60 Prozent der Frauen zwischen 25 und 29 Jahren bereits Kinder , heute sind es mit 29 Prozent nicht einmal die Hälfte. Ein wesentlicher Grund: Heute müssen oft beide Eltern arbeiten und kommen zusammen auf etwa 80 Stunden, die sie für ihre Arbeit – inklusive Anfahrt – benötigten.

Auch wenn es flexible Arbeitszeiten gibt, ist die Frage, so Bertram, „ob sich die Arbeitszeiten nach den Bedürfnissen der Familien richten oder nach den Erfordernissen im Unternehmen“. Eine flexible Arbeitszeit könne für eine Familie mühsam sein, wenn ein Vater oder eine Mutter von 16 bis 22 Uhr ins Büro müsse. „Dahinter steht ein fundamentales Problem“, so der Soziologe. „Wir kommen nur zu flexiblen und familienfreundlichen Arbeitszeiten, wenn wir akzeptieren, dass die Erziehung von Kindern so wichtig ist wie die Berufstätigkeit.“

Kinder als Karrierebremse

Ganztagsbetreuung – damit die Eltern arbeiten können

In einem Lebenslauf, in dem alles auf einmal geschehen muss, bleibt das auf der Strecke, was gesellschaftlich besonders gering geachtet wird. Kinder werden als Karrierebremse gesehen. Und so entschließen sich viele, erst später Kinder zu bekommen. Und dann bekommen sie – wenn überhaupt – oft nur noch ein Kind.

Doch Elternschaft könnte auch als Qualifikation gesehen werden. Schließlich beinhaltet Elternsein: Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, Flexibilität, geübter Umgang mit Stresssituationen, Kompromissbereitschaft, Teamfähigkeit, lebenslanges Lernen und die Fähigkeit des Multitasking. Die Unternehmer, die ihre Betriebe familienfreundlich gestalten, haben allerdings meistens andere Gründe, den Kinderwunsch gut zu heißen. Weniger Nachwuchs bedeutet gesamtwirtschaftlich gesehen nämlich auf Dauer weniger Nachfrage und mittelfristig ein Mangel an Fachkräften. „Eine familienfreundliche Unternehmenskultur ist keine Wohltat, sondern rechnet sich auch betriebswirtschaftlich“, ermuntert der Präsident der Deutschen Industrie und Handelskammer, Ludwig Georg Braun, die Chefs. Familienfreundlichkeit zahlt sich eben aus. Darin ist er sich mit den Parteien einig.

Bettina Schütz – tagesschau.de


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