Familienpolitik und Kindeswohl

Kinderkrippen contra Betreuungsgeld
Familienpolitik muss sich am Kindeswohl orientieren
Viele Eltern geraten mit der Geburt eines Kindes finanziell unter Druck. Das Einkommen nur eines Elternteils reicht meist nicht aus. Statt die Erziehungsarbeit zu würdigen und finanziell zu unterstützen, setzt die Politik auf den massiven Ausbau von Krippenplätzen. Viele Experten warnen jedoch davor. Und in Schweden kann man sehen, welche negativen Folgen das haben kann.
„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ So steht es in Artikel 6 des Grundgesetzes. Ist das noch aktuell? Oder ist es nicht vielmehr so, dass der Staat immer mehr selbst in Pflege und Erziehung der Kinder eingreift und damit den Familien einerseits eine Pflicht abnimmt, aber andererseits auch ihr natürliches Erziehungsrecht beschneidet?
Im Mai 2007 verständigten sich nach monatelangem Streit Union und SPD auf einen massiven Ausbau von Krippenplätzen. Die Zahl der Betreuungsplätze soll sich bis 2013 auf 750.000 verdreifachen, womit für 35% der 1- bis 3-Jährigen einer zur Verfügung stünde. Gleichzeitig sollen Eltern dann einen Rechtsanspruch darauf haben. 70% davon sollen Einrichtungen bereitstellen, 30% Tagesmütter.
Offizieller Hauptgrund für den Ausbau ist eine erhoffte Steigerung der Geburtenrate. Das ist jedoch angesichts der extrem niedrigen Geburtenzahlen in den neuen Bundesländern, die ja durchgehend eine hohe Zahl an Krippenplätzen aufweisen, nicht nachvollziehbar. Auch das Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau wird genannt. Hauptantreiber scheint aber eher die Wirtschaft zu sein.
„Herdprämie“ und andere Diffamierungen
Ein Sturm der Entrüstung brach aus, als einige Politiker dem Krippenausbau nur zustimmen wollten, wenn gleichzeitig ein Betreuungsgeld von 150 Euro für Eltern eingeführt wird, die sich selbst um ihre 1- bis 3-jährigen Kinder kümmerten. Schnell brachten Kritiker der diffamierende Begriff „Herdprämie“ auf – Unwort des Jahres 2007.
Cornelia Pieper, Stellv. FDP-Parteivorsitzende: „Wir wollen keine Barzahlungen für den gesteigerten Konsum der Eltern.“ Heinz Buschkowsky, SPD, Bezirksbürgermeister Neukölln: „In der deutschen Unterschicht wird es versoffen und in der migrantischen Unterschicht kommt die Oma aus der Heimat zum Erziehen, wenn überhaupt.“ Margot Käßmann, ehem. EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin: „Das Betreuungsgeld kann für manche Eltern ein Anreiz sein, Kinder gerade nicht einer Bildungseinrichtung anzuvertrauen. Am bedrückendsten ist die wachsende Kinderarmut und dass viele Kinder und Jugendliche selbst nicht mehr daran glauben, aus der Armut herauszukommen. Daher ist die Ganztagsschule wichtig – viel wichtiger als ein Betreuungsgeld.“ Susanne Kahl-Passoth, Direktorin des Diakonischen Werkes: „Ich bin entsetzt und empört darüber, dass es 2009 möglich ist, völlig überholte Rollenmuster zwischen Frauen und Männern durch eine Art ‚Herdprämie‘ wieder zu stärken und Familien bzw. Frauen zu benachteiligen, die Familien- und Erwerbsarbeit vereinbaren wollen. Aber noch ärgerlicher ist es, dass durch das Betreuungsgeld vor allem Kinder aus benachteiligten Familien schlechtere Bildungschancen erhalten.“
16 Verbände – darunter Gewerkschaften, Kinderschutzbund, pro familia und die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen – in einer gemeinsamen Stellungnahme: „Wahlfreiheit wird dadurch hergestellt, dass genügend qualitativ hochwertige und gebührenfreie bzw. kostengünstige Ganztagsbetreuungsplätze zur Verfügung stehen. Das Betreuungsgeld widerspricht den Prinzipien einer modernen Gesellschaft in hohem Maße. Es konterkariert die gleichstellungspolitischen, sozialpolitischen und familienpolitischen Ziele, für die sich die Interessenvertretungen seit vielen Jahren einsetzen.“
Hier wird die Realität auf den Kopf gestellt, denn wirkliche Wahlfreiheit müsste ja bedeuten, dass die Erziehungsarbeit der Eltern in gleicher Höhe honoriert wie ein Krippenplatz subventioniert wird, damit es keine Lenkungswirkung auf die Entscheidung der Eltern gibt. Das Betreuungsgeld müsste deutlich höher als 150 Euro ausfallen. Diffamierend ist auch die Behauptung, dass die das Betreuungsgeld in Anspruch nehmenden Eltern ihren Kindern die Chance einer frühkindliche Bildung entziehen oder gar das Geld nur versaufen. Da der Anteil erziehungsunfähiger Eltern unter 3% liegt, ist eine solche Verallgemeinerung völlig unangebracht.
Der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhoff sagt hierzu: „Mütter sind mündige Menschen. Väter auch. Deswegen sollte der Staat gerade die jungen Menschen, die ihre Freiheitskraft in der Entscheidung für das Kind und der Bereitschaft zu seiner Erziehung bewiesen haben, nicht wie halbmündige Menschen behandeln. Und wer an arme und schlecht betreute Kinder in Brennpunkten denkt, sollte Betreuungshilfe anbieten, aber auch die Armut mindern.“
Wissenschaftler sehen Kinderkrippen skeptisch
Was aber sagen internationale Bindungsforscher und Entwicklungspsychologen über die Bedürfnisse von Kleinstkindern? In ihrem „Frankfurter Appell“ vom Mai 2007 bekräftigten an einem Kongress zum Kindeswohl teilnehmende Wissenschaftler die Bedeutung der intensiven Kind-Mutter-Beziehung – vor allem in den ersten drei Lebensjahren. Deren Zuverlässigkeit und Dauerhaftigkeit prägt in hohem Maße die emotionale, geistige und soziale Entwicklung für das ganze Leben.
Mutterentbehrung in den ersten drei Lebensjahren gefährdet die störungsfreie Entwicklung des Kindes. Eltern dürfen daher nicht gedrängt werden, ihr Kleinkind aus finanziellen Gründen fremdbetreuen zu lassen. Wenn dies dennoch notwendig wird, ist einer Tagesmutter der Vorzug zu geben. Wenn Krippenerziehung unvermeidlich ist, sollten unbedingt ein Betreuungsschlüssel von drei Kindern pro Erzieherin und eine mehrmonatige Eingewöhnungszeit mit der Mutter gewährleistet sein.
Die Wissenschaftler appellieren an Politik und Gesellschaft, Mütter und Väter in dem entscheidenden primären Bindungsprozess mit ihrem Kind zu unterstützen. Der Staat ist aufgefordert, den Familien genügend Zeit und Geld zu belassen bzw. zur Verfügung zu stellen, um jedem Kind die ersten drei Lebensjahre in seiner Familie zu ermöglichen. – Der Appell wurde an die Bundesregierung, die 16 Landesregierungen und die Bundestagsabgeordneten übersandt.
Für den großen Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi sind die drei großen Z – Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit – von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung eines Kindes. Die Zeit ist dabei am wichtigsten. Betreuerinnen haben wenig Zeit und einen geregelten Arbeitsalltag. Eltern hingegen nehmen sich Zeit für ihr Kind, wenn es sein muss rund um die Uhr. In Krippen und Kindergärten wird ein Job verrichtet, Eltern aber lieben. Auch Solidarität kann der Mensch besonders gut in der Familie, wo er unabhängig von seiner Leistung geliebt und gefördert wird, erlernen. In Betreuungsanstalten hingegen herrscht in erster Linie Gruppenzwang und Leistungsdruck, wodurch vor allem Anpassung eingeübt wird.
Die amerkanische NICHD-Studie und die britischen EPE-Studie, die tausende Kinder über längere Zeit untersuchten, kamen zum Ergebnis, dass es ernsthafte Risiken für Kinder gibt, die zu viel Gruppenfremdbetreuung für zu lange Zeit bei zu frühem Start bekommen – selbst bei bester Qualität der Betreuung.
In Betreuungseinrichtungen ist es zudem oft sehr laut. Das erzeugt Stress. Australische Studien ergaben, dass Krippenkinder in den ersten Wochen zum Teil doppelt so hohe Cortisol-Spiegel haben wie in Familien betreute Kinder. Diese Spiegel sinken dann zwar, sind aber auch nach einem halben Jahr noch erhöht. Mit steigendem Cortisol-Spiegel sinkt der Wachstumshormon-Spiegel, was besonderen Einfluss auf das in dieser Lebensphase am stärksten wachsende Organ hat: das Gehirn.
Zudem beeinträchtigt Stress die Immunabwehr und erhöht die Wahrscheinlichkeit von Infektionen und Krankheiten –zumal Kinderkrippen regelrechte Bakterienschleudern sind. Statt Zeit für den Job zu haben, müssen Mütter deshalb häufig ihr krankes Kleinkind pflegen und werden anschließend meist noch selbst krank.
Von Schweden lernen?
Schweden hat neben den ehemaligen Ostblockländern die längste Tradition von Tagesstätten für Kleinkinder. Das Konzept beruht auf den Ideen von Alva und Gunnar Myrdal aus den 1930er-Jahren, die damals eine „neue Generation“ von Menschen schaffen wollten, die besser in eine „moderne Weltordnung“ passten. In den 1970er-Jahren führte Schweden Kindertagesstätten flächendeckend ein. Gleichzeitig veränderte es sein Steuersystem so, dass durchschnittlich verdienende Familien nicht mehr mit nur einem Gehalt auskommen konnten.
Olof Palme verkündete den „Tod der Hausfrau“. Die Medien wiederholten das gebetsmühlenartig und diffamierten Hausfrauen als „Verräter“. Die Familie als Zelle des Gemeinwesens wurde schwer beschädigt. Eltern fühlten sich seitdem immer weniger für die Erziehung ihrer Kinder zuständig und gaben die Verantwortung immer mehr an den Staat und seine „Profis“ ab.
Gleichzeitig stieg in Schweden die Zahl psychisch kranker junger Menschen, die aufgrund von Lebensangst, Panikattacken und Sucht die Hilfe von Therapeuten aufsuchen. Der Psychotherapeut Lennart Bergström bezeichnet das als ethische, soziale, gesundheitliche und auch kriminologische Katastrophe. Als Ursache nennt er die Zerstörung der Autorität der Familie und anderer fester Normen.
Der Umweltforscher Per Kågeson weckte vor einiger Zeit starke Reaktionen mit seinem Buch „Tid för barn“ (Zeit für Kinder), in dem er die Auffassung vertrat, dass schwedische Familienpolitik in erster Linie eine Arbeitsmarktperspektive verfolge und keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder nehme. Ähnliche Schlussfolgerungen drängen sich zurzeit in Deutschland unmittelbar auf.
Krippenausbau ist eine Sackgasse
Für den derzeit durchgeführten massiven Krippenausbau gibt es keine Rechtfertigung. In Zeiten der Finanzkrise und überall im öffentlichen Sektor zu erwartender Einsparungen ist zudem nicht damit zu rechnen, dass genug Geld für eine qualitativ hochwertige Krippenbetreuung vorhanden sein wird. Die Risiken für die dort betreuten Kinder sind hoch. Die eingangs zitierten Politiker und Funktionäre fallen durch ein mangelndes Problembewusstsein und ein erschreckendes Schwarz-Weiß-Denken auf. Als evangelischer Christ haben mich besonders die Äußerungen der evangelischen Verbände und von Margot Käßmann schwer enttäuscht.
Beim Caritasverband Rottenburg-Stuttgart hingegen scheint man besser verstanden zu haben, was auf dem Spiel steht. In seiner Stellungnahme heißt es: „Das Betreuungsgeld, wie alle übrigen Familientransferleistungen, ist ein gesellschaftlicher Beitrag zum Erhalt des kleinsten solidaritäts-stiftenden Netzwerks der Gesellschaft: der Familie. … Als kirchlicher Wohlfahrtsverband verfolgen wir den quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung … und treten mit unseren Diensten und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe dafür ein, dass … alle Anstrengungen unternommen werden, einer Kindeswohlgefährdung zuvorzukommen, indem Eltern eine Aufmerksamkeit und Achtsamkeit in ihrem Umfeld erfahren, die sie stärkt und bestätigt in ihrem Engagement ihre Kinder zu betreuen, zu bilden und zu erziehen.“
Frank Senftleben
Jahrgang 1962, ist Diplom-Ingenieur und Beamter an einer Bundesbehörde in München. In die ÖDP trat er 1994 ein. Er ist mit einer Schwedin verheiratet und verfolgt die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Schweden.

Kommentar verfassen