Elterngeldgesetz verachtet Erziehungsarbeit

Der renommierte Arzt und Sozialexperte Dr. Johannes Resch weist nach, dass die Umdeutung des Begriffs „Generationenvertrag“ ein Meisterstück der Irreführung einer ganzen Gesellschaft ist. Die Folge: Die Alterslast wurde kollektiviert, die Kinderlast blieb Privatsache. Das Elterngeldgesetz zementiert seit 2007 die Abwertung elterlicher Erziehungsarbeit und krönt die von Adenauer eingeleitete familienfeindliche Sozialpolitik.

Dieser Beitrag erschien erstmals im Magazin ÖkologiePolitk 153 – 2/2012 der Ökologisch Demokratischen Partei ÖDP. Unter Nennung des Autors, Dr. Johannes Resch, kann dieser Aufsatz ungekürzt und unverändert weiter verbreitet werden.

Der Begriff „Generationenvertrag“ geht auf den Sozialrechtler Wilfrid Schreiber zurück. Seine Vision war es, den seit Menschen Gedenken bestehenden familiären Vertrag der gegenseitigen Unterhaltsverpflichtung zwischen Eltern und Kindern auf eine gesellschaftliche Ebene zu heben.
Der familiäre Generationenvertrag: Eltern versorgen ihre Kinder und erwerben damit das Recht im Alter wieder von ihnen versorgt zu werden.
Gesellschaftlicher Generationenvertrag (sog. „Schreiber-Plan“): Alle arbeitsfähigen Erwachsenen sorgen für den Unterhalt der Kinder und erwerben damit ein Anrecht, in ihrem Alter von den erwachsen gewordenen Kindern eine Rente zu erhalten.

Die Zielvorstellung Schreibers war es, die individuellen wirtschaftlichen Risiken des Kindes- und Rentenalters, wie z. B. bei vorzeitigem Tod oder Krankheit von Eltern oder Kindern durch ein solidarisches System abzufangen. Außerdem sollten Kinderlose, die bisher ihr Alter mit vergleichbar hohen Risiken durch Ansparen von Kapital sichern mussten, in die gesellschaftliche Solidarität der Generationen einbezogen werden.

Nach den Vorstellungen Schreibers sollte seine Vision die Blaupause für ein Sozialsystem mit dynamischer Kindheits- und Jugendrente einerseits und dynamischer Altersrente andererseits sein.

Adenauers Rentenreform negiert Schreibers Idee

Bei der Rentenreform 1957 wurde von der damaligen Adenauer-Regierung ein System geschaffen, das ziemlich genau das Gegenteil von dem war, was Schreiber vorgeschlagen hatte: Die Arbeitsfähigen wurden lediglich gesetzlich verpflichtet, den Unterhalt der Alten durch eine Rente zu sichern, während eine entsprechende Gegenleistung für Kinder unterblieb. Die Kinderkosten blieben also nahezu allein bei den Eltern.

Mehr noch: Die Rentenansprüche wurden sogar fast ausschließlich an Erwerbsarbeit gebunden, obwohl die Renten der Erwerbstätigen allein durch deren Kinder bezahlt werden müssen. So ergab sich die geradezu absurde bis heute bestehende Situation, dass z. B. kinderreiche Eltern, die am meisten für die Kinder getan haben, gegenüber den gleichen Kindern die geringsten Ansprüche haben. Wer dagegen, keine Kinderkosten getragen hat, dem werden die größten Ansprüche gegenüber der Kindergeneration zugestanden.

Der Gegensatz zwischen „Schreiber-Plan“ und Rentenreform 1957 wird in den unterschiedlichen Definitionen deutlich:

Der Generationenvertrag nach Wilfrid Schreiber:
„Aus der Gesamtheit der Arbeitseinkommen wird sowohl dem Kinde und Jugendlichen (vor Erreichung des 20. Lebensjahrs) wie dem Alten (nach Vollendung des 65. Lebensjahrs) ein maßgerechter Anteil zugesichert.“ (S. 24)
„In der vorindustriellen Gesellschaft ließ sich ein solcher ‚Solidarvertrag‘ ohne Mühe im kleinsten Sozialgebilde , in der Familie. verwirklichen. Die Eltern zogen die Kinder groß und erwarben dadurch den selbstverständlichen Anspruch, in ihrem Alter von den Kindern unterhalten zu werden.“ (S. 33)
Aus dem Nachdruck des „Schreiber-Plans“ durch den Bund Katholischer Unternehmer 2004

Die verfälschende Definition der Bundesregierung: „Mit Generationenvertrag wird der unausgesprochene ´Vertrag´ zwischen der beitragszahlenden und der rentenbeziehenden Generation bezeichnet. Die monatlich von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorgenommenen Einzahlungen in die staatliche Rentenkasse sollen zur Finanzierung der laufenden Rentenzahlungen dienen. Die arbeitende und somit zahlende Generation erwartet ihrerseits, dass auch ihre Rente durch die Beitragszahlungen der nachfolgenden Generation gedeckt ist. Tatsächlich ist der Generationenvertrag als Grundlage des deutschen Rentensystems eine staatlich organisierte Unterhaltspflicht gegenüber den älteren der Gesellschaft.“ Von der Internetseite des Bundesfinanzministeriums.

Generationenvertrag ist ins Gegenteil verkehrt

Bis heute ist es kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen, dass spätestens durch die Rentenreform 1957 der familiäre Generationenvertrag, in dem die Altersversorgung der natürliche Lohn der Kindererziehung war, ins Gegenteil verkehrt wurde. Trotzdem wurde der Begriff „Generationenvertrag“ in euphemistischer Weise bis heute für dieses familienfeindliche System verwendet. Die Umdeutung des Begriffs von einem soliden Konzept sozialer Sicherung zu einer Frondienstverpflichtung der Eltern mit Kettenbriefcharakter zu Lasten der jeweils jungen Generation ist ein Meisterstück der Irreführung einer ganzen Gesellschaft.

Es ist heute müßig darüber zu streiten, ob Adenauer, der seine Rentenreform gegen erhebliche sachliche Bedenken, nicht zuletzt von Wilfrid Schreiber, durchsetzte, die Aushöhlung der Familie bewusst in Kauf nahm, um seine damals von ihm als höherwertig erscheinenden außenpolitischen Ziele verfolgen zu können oder ob er einfach das Wesen des Generationenvertrags nicht begriffen hatte.

Es wäre zu erwarten gewesen, dass spätestens mit dem Einsetzen des Geburtenrückgangs in den 70-er Jahren ein Prozess des Umdenkens einsetzt, um Konsequenzen aus den Fehlern von 1957 zu ziehen. Hier hat nicht nur die CDU/CSU versagt, sondern alle Parteien, die seitdem Regierungsverantwortung getragen haben.

Aber auch die Medien haben versagt, weil sie sich mit einer Art Hofberichterstattung zufrieden gegeben haben, wenn es um die sozialen Rechte der Eltern und der nachfolgenden Generation ging. – Die politisch Verantwortlichen wie auch die Medien haben sich bis heute gegenüber den vielen kritischen Stimmen von Juristen, Soziologen und anderen meist taub gestellt.

Aus Platzgründen werden nur zwei Zitate angeführt: „Die Alterslast wurde kollektiviert, die Kinderlast blieb Privatsache. Mit dieser Konstruktion bestraft das geltende Rentenrecht die Familie und innerhalb der Familie ganz besonders die nicht oder nicht voll berufstätige Mutter.“ Eva Marie von Münch, Handbuch des Verfassungsrechts 1994, S. 321)

„Indem Eltern die zukünftigen Arbeitskräfte aufziehen, welche die Renten auch der Kinderlosen durch ihre Beiträge werden finanzieren müssen, finanzieren sie über ihren Beitrag zur Humankapitalbildung indirekt die Renten der Kinderlosen mit, die zudem im Durchschnitt vergleichsweise höhere Rentenanwartschaften erwerben können. Die so genannte „Transferausbeutung der Familien“ lässt sich in weniger krasser Form auch in den übrigen Transfersystemen nachweisen.“ Franz-Xaver Kaufmann, Stellv. Vorsitzender der Sachverständigenkommission für den 5. Familienbericht, in „Herauforderungen des Sozialstaats, Suhrkamp 1997, S.170

Es ist auch zu fragen, welchen Wert ein Grundgesetz hat, das die Familie „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stellt, aber gleichzeitig nicht verhindern konnte, dass eben diese staatliche Ordnung per Gesetzgebung den Familien die wirtschaftliche und damit letztlich auch die ideelle Grundlage entzogen hat.

Inzwischen ist in Politik und Medien zumindest deutlich geworden, dass unser Sozialsystem in der vorliegenden Form keinen Bestand haben kann. Aber statt über die Zerstörung der Grundlagen nachzudenken und daran etwas zu korrigieren, werden Scheinauswege verfolgt, die nur noch weiter in die Sackgasse führen.

Scheinausweg Nr. 1: Der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel

Um die Überforderung der nachfolgenden Generation aufgrund der Versorgung eines wachsenden Heeres kinderloser Rentner zu mindern, wurde die Rentenformel so verändert, dass die Renten seit 2005 immer weiter zurückbleiben. Damit wurde zwar die Grundlage für künftige Altersarmut gelegt. Aber die Ursache für die Fehlentwicklung, die schließlich in der Abwertung der Erziehungsleistung liegt, blieb unberührt. Selbst die Renten der Eltern, die z. B. durch Erziehung von vier Kindern einen weit überdurchschnittlichen Beitrag im Generationenvertrag geleistet haben und trotzdem die geringsten Renten erhalten, werden ebenfalls gekürzt.

Scheinausweg Nr. 2: Die „Krippenoffensive“

Da nach dem bestehenden System die gesamte Altersvorsorge für die eigene Generation allein den Eltern aufgebürdet wurde, während sich Kinderlose nur an der Versorgung ihrer Eltern beteiligen brauchen, musste es zwangsläufig zu zunehmender Verarmung von Eltern und Kindern kommen. Das soll nun durch volle Erwerbstätigkeit beider Eltern ausgeglichen werden, wozu Kinder möglichst schon ab dem 2. Lebensjahr in Krippen untergebracht werden sollen. – Unterm Strich ist damit aber nichts gewonnen. Selbst wenn das Manöver gelingen sollte, wäre nur der Geldmangel der Eltern durch Zeitmangel ersetzt. Schon das Schlagwort von der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ zeigt, dass eine Gleichberechtigung der Eltern auf diesem Wege gar nicht erreichbar ist. Das Sonderopfer der „Vereinbarkeit“ wird ja ausschließlich den Eltern abverlangt, deren Diskriminierung damit unverändert bleibt. Das Geld, was die „Krippenoffensive“ kostet, wäre als Lohn für die Erziehungsarbeit der Eltern wirkungsvoller angelegt, um deren Geld- und Zeitmangel zu mindern. Stattdessen werden die Eltern bevormundet und in eine ideologisch vorgegebene Richtung gedrängt. Nach den Wünschen der Eltern oder gar dem Wohl der Kinder wird nicht mehr gefragt. – Zur Vertuschung werden sogar Scheinstudien erstellt, die eine generelle Überlegenheit der Krippenbetreuung suggerieren sollen (vergl. z. B. Pressemeldung der ÖDP vom 13.3.2008 zur „Bertelsmann-Studie“).

Scheinausweg Nr. 3: Das Elterngeldgesetz

Oben wurde beschrieben, dass die Rentenreform 1957 den „Gewinn“ durch Kinder vergesellschaftet, aber die Kosten der Kinder bei den Eltern belassen hat. Das wird durch die Behauptung vertuscht, es gebe durch Kindergeld, Elterngeld und andere Leistungen einen angemessenen Familienlastenausgleich. Tatsächlich beträgt dieser „Ausgleich“ aber nur etwa ein Viertel des Betrages, der den Eltern durch das Umlageverfahren bei Rentenrecht, Krankenversicherung der Rentner und Pflegeversicherung entzogen wird. – Immerhin konnte das bis Ende 2006 gewährte Erziehungsgeld als geringe Gegenleistung für die Erziehungsarbeit angesehen werden, wenn es auch bei höheren Einkommen gemindert wurde oder entfiel.

Das seit 2007 geltende Elterngeldgesetz hat dagegen eine neue Runde in der Abwertung der Erziehungsleistung eingeleitet und steht so ganz in der Tradition der von Adenauer eingeleiteten familienfeindlichen Sozialpolitik. Eine gut verdienende Mutter erhält bei einem ersten Kind 1800 € Elterngeld monatlich. Eine Mutter, die vier kleine Kinder betreut, erhält nach Geburt eines fünften Kindes nur 300 €. Obwohl die Letztere vor der Geburt fast die doppelte Anzahl von Arbeitsstunden geleistet haben mag als die Erstere und ihre ganze Arbeitskraft in die Funktionsfähigkeit unseres Sozialsystems investiert hat, wird sie mit einem Sechstel des Elterngeldes abgespeist. Mit dem Schlagwort „Einkommensersatzfunktion des Elterngeldes“ wird zu vertuschen versucht, dass die aufgrund unseres Sozialsystems erzwungene Verarmung der Eltern zur Rechtfertigung einer neuen Benachteiligung missbraucht wird.

Sozialpolitik wertet Erziehungsarbeit immer mehr ab

Damit besteht ein roter Faden von der Sozialpolitik Adenauers bis heute, der in einer zunehmenden Missachtung der Erziehungsarbeit besteht. Die Auswirkungen in Form verminderter Erziehungsqualität, verstärkter Neigung der Kinder und Jugendlichen zu Leistungsverweigerung und Suchtverhalten, der zunehmende Zerfall von Familien und der langsame Verfall unseres Sozialsystems werden zwar als Fakten weitgehend erkannt, aber nicht in Zusammenhang mit den sozialhistorischen Hintergründen gebracht.

Namentlich das Elterngeldgesetz hat gezeigt, dass hier eine gut organisierte Lobby als Teil der gesellschaftlichen Oberschicht am Werk ist, deren Vorstellungshorizont meist nur bis zur Ein-Kind-Familie reicht, aber den Anspruch erhebt, im Alter von den Kindern des Rests der Bevölkerung versorgt zu werden. Dieser Teil der Gesellschaft hat heute die meisten Schlüsselpositionen in Politik, Verwaltung, Medien, Wirtschaft und auch der Justiz besetzt. – Schon die Politik Adenauers verschaffte „Kein-Kind- und Ein-Kind-Familien“ gewaltige Vorteile. Das Elterngeldgesetz zeigt nun sogar, dass unser Sozialsystem auf dem Weg zu einem Selbstbedienungsladen für eine ohnehin schon privilegierte Gruppierung ist.

Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts ( BverfG) verkündete in einer Mitteilung vom 24. 11. 2011 zur Klage gegen das Bundeselterngeldgesetz, es habe die Verfassungsbeschwerde „nicht zur Entscheidung angenommen“. Die hierzu angegebenen Begründungen stehen in klarem Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung des BverfG.

von Dr. Johannes Resch

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