Die Guten ziehen wieder den Kürzeren

Frau Birgit Kelle, Vorsitzende der Europäischen Frauenvereinigung Frau 2000 plus, äußert sich zu den Forderungen aus den Reihen der Grünen und der SPD nach den Pisa-Ergebnissen jetzt verpflichtend die Ganztagsschule einzuführen.

 


Kaum dass die neue Pisa-Studie erschienen, melden sich sofort reflexartig die üblichen Bedenkenträger mit den immer gleichen vermeintlichen Lösungen: Mehr Staat. Mehr Ganztagsschule. Und natürlich verpflichtend für Alle.

Als ob es tatsächlich etwas bringt, wenn die Kinder fortan noch mehr Stunden in der Schule sitzen. Denn machen wir uns nichts vor: Betreuung in der Schule ist ja nicht gleich Bildung. Ich kenne zahlreiche Kinder, die erst Hausaufgaben machen, wenn sie dann um 16.30 Uhr aus der OGS nach Hause kommen. Denn dort ist es ihnen zu laut, sie können sich nicht konzentrieren. Der Tag endet für diese Kinder sehr spät, sie haben keine Zeit für Verabredungen und die Schularbeiten sind erst vor dem Abendessen fertig. Das ist also die Lösung? Niemand traut sich offenbar mal zu benennen, wo genau die Unterschiede liegen, wenn manche Kinder sich gut entwickeln und  andere schlechter.

Dabei ist es ganz einfach, denn ein paar Studien gibt es ja schon. Bescheinigt auch von der OECD, die im Ergebnis jährlich immer wieder neu bemängelt, dass in keinem anderen Land die soziale Herkunft derart entscheidend ist für den Erfolg von Schülern und Studenten wie in Deutschland. Und wenn man sich dann ansieht, wer denn die guten Schüler sind, dann sind es eben diejenigen, die von zu Hause am meisten Unterstützung bekommen. Und damit meine ich nicht Geld. Sondern Leistungswillen. Lernbereitschaft. Gewissenhaftigkeit. Anstrengung. Auch Analphabeten können Akademiker großziehen. Es ist eine Frage der Einstellung zu Bildung und Leistung und meistens nicht eine Frage des Geldbeutels. Das vermittelt keine Schule. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Das ist Sache der Eltern.

Und was ist also die Reaktion der Politik? Alle Schüler sollen mehr dem Einfluss des Elternhauses entzogen werden, damit sich der Staat in den Schulen mehr um alle kümmert. Hallo? Das mag für diejenigen funktionieren, die zu Hause keine Unterstützung bekommen. Aber im Umkehrschluss bedeutet es auch: Alle diejenigen, die bislang sehr gut sind, werden zwangsläufig herunter gestuft. Denn der Weg, der für sie bislang erfolgreich war, soll ihnen de facto durch flächendeckende Ganztagsschulen genommen und dem niedrigeren Niveau der anderen angeglichen werden. Wieder mal ein Gießkannenprinzip. Individuelle Förderung bleibt da eine leere Hülse. Übrigens auch eine inzwischen erschreckend normale Reaktion in unserem Land. Wenn das Leistungsniveau sinkt, werden die Ansprüche eben nach unten korrigiert. Damit wird jeder Leistungswille im Keim erstickt. Wir beschäftigen uns nicht mehr damit, wie die Guten vorankommen, sondern wie wir es den weniger Guten möglichst nicht so schwer machen. Und sie sollen um Himmels willen nicht merken, dass sie gerade den Anschluss verpassen. Sitzenbleiben abschaffen. Noten abschaffen. Leistungsniveau senken, Kopfnoten wieder abschaffen, wie es gerade in NRW passiert. Einheitsschule einführen. Schule als fröhliches Happening mit Wohlfühlgarantie. Phrasenhaft erscheinen da Politiker-Statements wie „Wir wollen kein Kind auf der Strecke lassen“. Ja sicher, aber müssen denn alle im gleichen Zug sitzen? Oder darf es für einige auch der ICE sein?

Birgit Kelle

 

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