Das Familienbild spaltet die Koalition

Den hervorragenden Kommentar vom 28. 06. 2010 aus der Schwäbischen Zeitung dürfen wir mit Zustimmung von Herrn Redakteur Michael Lehner hier veröffentlichen.
„Kurz vor der Präsidentenwahl, die alle Einigkeit erfordert, streiten Union und FDP um das Elterngeld für Hausfrauen-Familien. Es geht nicht nur um 300 Euro, sondern um die Richtung. Beim Familienbild trennen Konservative und Liberale Welten.
Auf dem Kleinen CSU-Parteitag zu Nürnberg hat Parteichef Horst Seehofer seine Familienministerin Christine Haderthauer auf offener Bühne abgewatscht. Die Frau hatte es gewagt, Vergleiche mit dem chilenischen Diktator Pinochet zu ziehen, weil aus der FDP die Forderung kam, das Elterngeld nur noch an Doppelverdiener- Familien zu bezahlen.
Damit ist eines ganz klar: Seehofer will diesen Streit nicht, zumindest nicht jetzt und nicht
in dieser Form. Genauso klar ist: Frau Haderthauer hat über die CSU hinaus beträchtliche Unterstützung. Und als Karriere-Frau mit Kindern passt sie als Gallionsfigur jener Stammwähler, denen die ganze Richtung nicht gefällt, seit Angela Merkel und Ursula von
der Leyen der Union ein vermeintlich modernes Frauenbild verpassen wollen.
Über die reine Ideologie hinaus ist der Streit wohlbegründet: Denn in Berlin sind der Koalition längst jene Paare aus dem Blick geraten, die sich das modische Elternbild nicht leisten können, weil es außerhalb der Ballungsräume an passenden Arbeitsplätzen
und öffentlicher Kinderbetreuung fehlt – und auch, weil es Menschen gibt, die sich Familie
anders vorstellen als der Zeitgeist. Hier zeigt sich eine Bruchstelle, die der Koalition gefährlicher ist als der Streit um Steuern oder Wehrpflicht.
Es geht ums Eingemachte und ums Soziale: Kürzungen zum Schaden der Normalverdiener und ihrer Kinder sind keine Frage der Emanzipation, sondern eine Frage der Gerechtigkeit. Letztendlich steht der Anspruch auf dem Spiel, dass ein Arbeitseinkommen eine Familie auskömmlich ernähren sollte.
Dass der Trend zur teuer erkauften staatlichen Betreuung einhergeht mit Zwängen, die von vielen, durchaus auch jungen Menschen als Unfreiheit empfunden werden, nehmen die in der Bundesregierung Verantwortlichen nur unzureichend wahr. Insofern ist es ganz verkehrt zu glauben, dass sogar die CSU von diesem Streit nichts mehr hören will. Er ist momentan nur unerwünscht, um den brüchigen Koalitionsfrieden zu wahren.“

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