Die Welt ist verrückt geworden!

Anlässlich der Talkrunde „Menschen bei Maischberger“, wo es um die LSBTTI-Reform des baden-württembergischen Lehrplans für allgemeinbildende Schulen ging, fiel der Gymnasialdirektor i. R.  Dr. Gerd Brosowski in einen Tagtraum, der ihn in die Siebzigerjahre zurück versetzte. Beim Erwachen stellte er fest: „Die Welt ist tatsächlich verrückt geworden!“

Gestern hatte ich einen Tagtraum, der mich um siebenunddreißig Jahre zurückversetzte. Ich war im Jahr 1977 ein junger Studienrat, unterrichtete an einem Saarbrücker Gymnasium die Fächer Physik und Mathematik.

Im Jahr 1977 war das Kurssystem an Gymnasien noch nicht eingeführt worden; wir hatten Jahrgangsklassen. Alle Schüler hatten von der achten bis zur letzten, der dreizehnten Klassenstufe,  wenigstens zwei Wochenstunden Physik. Die Schüler durften auch noch samstags in die Schule kommen, und da es ferner niemanden in den Sinn gekommen wäre, während der Unterrichtszeit Schulfeste, pädagogische Tage, Berufsberatungen und, und, und durchzuführen, hatten wir im Jahr rund 220 Unterrichtstage. Heute haben wir weniger als 180 Unterrichtstage, und das heißt, dass während der Mehrzahl der Jahrestage in den Schulen nicht unterrichtet wird. Der normale Schultag ist zu einem seltenen Ereignis geworden.

Bei alledem hatten wir weniger Stress als gegen Ende meiner Dienstzeit, denn die höchstens 34 Wochenstunden verteilten sich auf sechs Tage, das waren im Schnitt weniger als sechs Stunden pro Tag. Heute muss so ein Volumen auf fünf Tage verteilt werden. Die Schüler haben an den seltenen Unterrichtstagen mehr Stunden als ihre Väter und Großväter im gleichen Alter, sie kommen daher später nach Hause, ihnen bleibt für die Hausaufgaben weniger Zeit, und dabei ist deren Volumen nicht kleiner, sondern größer geworden. Denn der nächste Tag hat vielleicht mehr als sechs Unterrichtsstunden, außerdem sind die Lehrer in ihrer Zeitnot darauf angewiesen, dass vieles von dem, was wir noch in aller Ruhe im Unterricht besprechen konnten, von den Schülern in Eigenregie erledigt oder auch nur scheinbar erledigt wird.

Führend unter den westdeutschen Ländern in meinen Fächern war Baden-Württemberg; von dort kamen die besten Aufgabenvorschläge, dort wurden die neuesten Apparaturen verwendet, dort wurden die besten und bekanntesten Schulbücher verlegt. Aber nun zurück zu meinem Traum, der mich ins Jahr 1977 zurückversetzt hatte.

In meinem Traum saß ich vor einer Apparatur im Vorbereitungsraum der Physik. Eine Lautsprecherbox in meiner Anordnung brummte im fünfzig-Hertz-Ton vor sich hin; da hörte der Ton schlagartig auf, und die Box begann zu reden. „Du hast gerade eine Anleitung einer Firma aus Baden-Württemberg verwendet“, tönte es da. „Wenn Du im Jahr 2014 pensioniert sein wirst, dann wird auch in Baden-Württemberg die Welt anders aussehen“, hörte ich es orakeln. „Oh, das heißt, dass ich meine Pensionierung noch erleben werde“, entfuhr es mir. „Darauf wollte ich nicht hinaus“, brummte es mir entgegen, „reden wir von Wichtigerem, reden  wir von den Schülern in BW im Jahr 2014“. „Gut, also was wird dann mit den Schülern sein?“ „Die wenigsten werden noch das Fach Physik in allen Klassenstufen belegt haben. Fast alle werden am Ende ihrer Schulzeit nur noch rudimentäre Kenntnisse in Physik und Chemie vorweisen können. Um deutlich zu reden: In jeder Kneipe in Saarbrücken wirst Du dann nicht weniger Kenntnisse in Physik und Chemie finden als in einem Abiturjahrgang an einem Gymnasium in BW.“ „Das kann nicht sein! Du redest von BW, nicht von Bremen  oder Ruanda-Burundi“, ließ ich mich vernehmen. „Ich rede von BW“. „Aber das wird die Landesregierung in BW aufs höchste besorgt machen. BW ist ein Industrieland. Die Landesregierung wird niemals zulassen, dass ihre Schulen so herunterkommen.“

Da krächzte es aus der Lautsprecherbox, als wenn jemanden ein Lachen im Halse stecken geblieben wäre. „Die Regierung in BW wird daran keinen Gedanken verschwenden. Sie wird sich mit aller Kraft einem ganz anderen Vorhaben in den Schulen widmen.“ „Welchem Vorhaben? Welches könnte wichtiger sein als der Versuch, die Schulen wieder gesund zu machen?“ In der Box war ein Räuspern zu hören, dann sprach sie weiter: „BW wird einen Bildungsplan zur Sexualerziehung vorgelegt haben. In allen Klassenstufen werden die Kinder und Jugendlichen über alle möglichen Formen sexuellen Verhaltens ausführlichst informiert werden, da geht es“ – ich hörte ein kurzes Blätterrascheln in der Box, dann sprach sie weiter – „da geht es um hetero-bi-trans-homo-gender- und so weiter- Sexualität“. Ich war nun ganz Ohr, denn ich glaubte, mich verhört zu haben. „Sorry, aber selbst beim Bund haben wir nicht in allen Details über solche Techniken geredet, kannst Du ein Beispiel nennen.“ „Ja, einen Augenblick bittte…Am 11. 2.2014, wird in einer sog. Talk-Runde im Fernsehen bei einer Frau Maischberger eine Journalistin mit einem Beispiel herausrücken…. Da ist es … Ich muss vorlesen…In der vierten Klassen lernen die Kinder, dass Lesben sich gegenseitig die Scheide ablecken.“ Ich musste mich verhört haben. „Aber sag’ mal, falls ich mich nicht verhört habe, das hört sich doch kein Kind an; denen ist doch egal, was Lesben so treiben. Vielleicht ekeln sie sich sogar.“ „Das kann ich nicht beurteilen, eine Lautsprecherbox kann sich nicht ekeln. Aber einen Augenblick: Die Kinder dürfen sich nicht einfach so ekeln und dann wegsehen. Sie müssen, es geht schließlich um einen Lehrplan, sie müssen genau aufpassen. Ja, mehr noch, da steht es: Sie müssen Verständnis und Akzeptanz zeigen. Auf deutsch: Sie müssen diese Sachen gutheißen. Eigentlich für gut befinden, aber das kann kein Mensch kontrollieren, so weit weiß man das in BW auch. Also sie müssen das gutheißen. Alle haben sich lieb, alle sagen, dass das alles gut ist, und so weiter.“

Jetzt wurde es in der Box feierlich, es schien mir, als ertönte im Hintergrund ein Choral: „Noch nie in der Geschichte der Menschheit hat man Derartiges versucht. In allen Kulturen haben die Menschen ihre Sexualität in aller Heimlichkeit  gelebt. Damit wird es vorbei sein. Ab heute erfährt jedes Kind ganz genau, was die Leute dabei tun. Was bisher in aller Abgeschiedenheit geschah, jetzt wird es ans Licht gezogen. Und alle müssen zusehen. Wenigstens im Modell müssen sie alles sehen, danach im Rollenspiel die Dinge nachahmen . Und alle müssen alles das gut finden. Ja, schon in der Antike war man mitunter in diesen Sachen etwas über dem Niveau der Buschmänner. Da durften die Bordelle in aller Öffentlichkeit werben. Aber BW macht den großen Schritt nach vorn. Da lernen die Kinder all das, was die Menschen früher nur aus ihrem verborgenen, persönlichen, speziellem Erleben kannten, in aller Ausführlichkeit kennen. Und noch einmal: Sie müssen dieses ganze Spektrum möglicher sexueller Verhaltensweisen gut finden. Alles gut finden, wie immer der alte Mensch in ihnen aufbegehren mag. Scham war gestern. BW erschafft den neuen Menschen. Und Du sprichst von Physik, von Unterricht in Naturwissenschaften.“

Da wurde es mir zu bunt. Die Box musste verrückt geworden sein. Ich schaltete sie aus. Und wachte auf.

Wachte auf und las die Zeitung. Die Box hatte recht gehabt. Sie war nicht verrückt geworden. Die Welt ist verrückt geworden.

 

 

Schöne neue LSBTTI-Welt!

Leserbrief an PUBLIK  FORUM

Zu „Homophobie in den Kirchen“ PF 2/2014

Versuchen Sie mal, das Vorhaben der BW-Landesregierung abseits des Homophobievorwurfs aus folgender Perspektive zu betrachten:

Lebkuchen und Schokoladennikoläuse ab September, Lichterglanz an Weihnachtsbäumen ab Mitte November, Dauerberieselung mit „Stille Nacht“ in Kaufhäusern drei Adventswochen lang. Und an Weihnachten ? Die Luft ist raus, Überdruss, Erschöpfung. Wo sind Vorfreude, banges Warten auf den Heiligen Abend, Heimlichkeit, Weihnachtsliederschauder, wohliger Tannen-und Kerzenduft geblieben? Wir haben den Kindern ihre großen Gefühle gestohlen, Weihnachten entzaubert, Weihnachtsbräuche kommerzialisiert durch Dauerbeleuchtung, Dauerberieselung, Dauerflitter.

Wohin wird die zwölfjährige LSBTTI-Dauerberieselung in baden-württembergischen Schulen führen? Die „Akzeptanz der Vielfalt“ soll ja nicht per zeitlich begrenzten Unterricht erreicht werden, sondern durch permanente, fächerübergreifende  Beschäftigung mit Sexualität über zwölf Schuljahre vom Milchzahn bis zum Bartwuchs,  jederzeit und überall bis zum Erbrechen, und unausweichlich! Das nennt sich blumig Leitprinzip.

Erwachsen geworden wird es den jungen Menschen so gehen wie mit Weihnachten, nur wird der emotionale Verlust weit dramatischer sein: die schönste Sache der Welt wird ihnen zum Hals heraus hängen und sie dauernd an Schule und diverse Lehrer erinnern. Sexualität – ausgelutscht, öde, abgedroschen, banal – einfach nur zum Gähnen!

Schöne neue LSBTTI-Welt! Wollen wir unsere Kinder weiter ent-emotionalisieren?

Übrigens, haben Sie in der ganzen Debatte auch nur einmal das Wort LIEBE vernommen? Nein? Ich auch nicht.

Bärbel Fischer